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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 6.1908

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Heft 12
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Fürst, Walter; Scheffler, Karl: Dialog über deutsches Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.4705#0540

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Durch die Zuspitzung des Dialogs für den ersten
Blick vielleicht in den Schein einer starren Dog-
matik zu geraten (einen Schein, den meine Not-
wehr gegen die Gesprächstaktik leider noch ver-
stärkt haben dürfte): dies war eine Gefahr, der
ein bewusstes Stilsuchen sich heute allenfalls
exponieren musste. Es geschah, weil ich von
der Überzeugung ausgehe, dass unsere Innenkunst
an einem Wendepunkt angekommen ist, an dem ihr
ein Rückblick und Ausblick und ein Besinnen not-
thut. Ich glaube zu erkennen, dass die erste Periode
des Versuchs und des Überschwangs, die sentimen-
tale Periode, nun hinter uns liegt, und ich sehe das
Kunstgewerbe vor seine ernsteste Frage gestellt, —
vor den Willen zum Stil. Aber dieser zweiten, der
„klassischen" Epoche, um Ihre Unterscheidung auf-
zunehmen, ist Grenzsetzung ebenso wesentlich, wie
der ersten Grenzüberschreitung notwendig sein
kann. Sollte deshalb nicht gerade Grenzsetzung,
Schaffung eines Stilbewusstseinshier unsere wichtige
Aufgabe sein? Dieses Stilbewusstsein ist etwas
gründlich Anderes als eine herrschsüchtige „An-
massung der Idee gegenüber dem Leben"! Wenn
irgend etwas, ist gerade dies an „unserm" Goethe
zu begreifen, den Sie vorhin beschworen haben.
Vielleicht hat nie ein Schaffender tiefer gewusst
als er, was der universelle Künstler den Grenzen
seiner einzelnen Künste schuldig ist. Es ist ein sehr
bedeutungsschwerer Unterschied, ob man, als uni-
verseller Meister über den Künsten stehend, doch
mit der ganzen Demut des Küustlers jeder Kunst
giebt was ihr gebührt, oder ob man als Maler tek-
tonisch, als Tektone malerisch denkt. Was hier
entsteht, ist der Stilverschmelzung der Romantik
verwandt. In freien Künsten steht dies als Ausdruck
der Persönlichkeit — ich muss es nochmals betonen
— ausserhalb jedes positiv oder negativ wertenden
Richtens. Ich bin gewiss der Letzte, der Wagner
oder Nietzsche an Massstäben misst, die für die
Konstruktion von Ausziehtischen und Waschkom-
moden gelten. Im Gewerblichen liegen die Dinge
anders; und man kann wohl alles, was heute von
unserem Kunstgewerbe zu verlangen ist, in die

Forderung eines reiferen Stilbewusstseins zusammen-
fassen. Eines Stilbewusstseins, dessen Herleitung
aus dem innersten Wesen einer Kunst allerdings dort
unmöglich gemacht ist, wo einer auch nur an-
nähernden Fixierung eben dieses Wesens prinzipiell
aus dem Wege gegangen wird.

Ich möchte Ihren Schützlingen gegenüber nicht
ungerecht erscheinen. Ich schliesse mich Ihnen
vollständig an, wenn Sie die anregende Kraft be-
fonen, die diesen Künstlern am Anfang der Be-
wegung zu eigen war. Proklamieren Sie aber diesen
fruchtbaren Einfluss auch noch für die Gegenwart
und berufen Sie sich dabei auf meine Mitwisser-
schaft, dann muss ich diese entschieden ablehnen,
da es für mich zehn Jahre Kunstentwicklung
ignorieren hiesse, wollte ich übersehen, dass eben
heute die Führung an andere Künstler übergegangen
ist, an deren Beispiel nun die Ihren wiederum zum
Stilbewusstsein zu gelangen suchen. Auf welchem
Wege Sie zu der Überschätzung jenes Individualismus
kamen, verstehe ich sehr wohl; aber gerade mit
dem Betonen des Gegenteils — des Bewusstwerdens
seiner Grenzen — glaube ich dem „Klassischwer-
den" unserer Innenkunst einen besseren Dienst zu
thun, als ihn das Festhalten an den Tendenzen Ihrer
Künstler leistet, und gerade damit stehe ich hier
als Vertreter der zweiten Epoche gegen den der
sentimentalen Vergangenheit. —

Karl Schejfler: Hier gerät der Redakteur in
Verzweiflung. Es juckt ihn in den Fingern Ihrer
leisen Bitterkeit noch zu antworten und es fehlt
ihm doch an Raum im eigenen Blatt. Mit
heroischer Selbstüberwindung legt er die Feder
nieder.

Dass wir zu „Resultaten" nicht kommen wür-
den, war auf der ersten Seite schon klar. Und
ebenso, dass die Kunstform des Dialogs preisge-
geben werden musste, wenn das Gespräch „natura-
listisch", mit Hilfe des Brief boten betrieben wurde.
Immerhin: wir haben uns ein Vierteljahr lang
gut genug unterhalten und auch den Leser nun in
Bewegung gesetzt. Mag er nun zusehen, ob er
zum Ziel gelangt.

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