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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 54.1903-1904

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Schur, Ernst: Über die ethische Kraft des Konstruktiv-Notwendigen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7291#0060

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Uber die ethische Kraft des Konstruktiv-Notwendigen.

97. Maximilianskirche; Marienaltar. Entwurf von ffch. v. S cfy m i b t, Bild-
hauerarbeit von Zllois Miller (die großen Figuren sind noch Provisorien),
Bronzearbeit von ls. L lein ent, farbige Fassung von Ruedorfer.

V.

Vielleicht ist folgende Argumentation ebenso
einfach wie zwingend. Stil schafft hier nicht ein
einzelner, sondern: die Zeit. Was erfordert wird,
ist nur dieses: Nützlichkeit, Solidität, praktische Aus-
nutzung gegebener Möglichkeiten, Sauberkeit und
ruhige Gründlichkeit der Arbeit, Berücksichtigen dessen,
was die im Menschen ruhende „organische Bequem-
lichkeit" verlangt. And daher: Z w e ckerf ü llu n g.

Dieser Ernst — eine sittliche Notwendigkeit —
müßte, auf die Dauer als Führer festgehalten,
imponieren. Müßte nach allen Richtungen vor-
bildlich wirken. Zu den in diesem Geist angefertigten
Dingen wird, muß man gerne immer wieder zurück-
kehren. Und diese Umgebung muß mit der Zeit
stählend, reinigend rückwirken. Diese Dinge, die wir
da vor uns sehen, diese Möbel usw. müssen zu uns
eine eherne Sprache reden. Sie müssen in sich
ruhen. Müssen fern sein von unserer Vielfältigkeit,

Vielspältigkeit, müssen im letzten Grunde
uns ein Gefühl fremder Ehrfurcht er-
wecken, das bleibt. Sie müssen eiserne
Notwendigkeit und sachlichen Ernst in
all der Unruhe in uns und um uns
predigen. Es sind Dinge und sollen
Dinge bleiben — in gewissem Sinne
fern von uns —, aber nicht wir selbst;
sie seien eine Beruhigung für uns.
Wenn dann Generationen vergangen
sein werden, wird die Schönheit dieser
Dinge den Späteren offenbar werden.

Zu all dem ist eines nötig: Es
darf hier nicht die Laune und der
persönliche Geschmack herrschen. Es
darf sich überhaupt niemals allzusehr
dem Gefallen eines einzelnen nähern.
Dienen! Aber seinem Gesetz dienen,
und nicht dem einzelnen, und dieses
Gesetz lautet: Ruhe, Sachlichkeit, Ernst.

Wird dann immer passendes Ma-
terial wechselnd verwandt, so kommt
die reinliche Schönheit von selbst. Und
dann wird auch eines möglich sein.
Ze mehr sich das Werk dem Willen
und Gefallen des einzelnen entzieht,
kann es für viele hergestellt werden,
nähert es (sich weiten Kreisen, in die
dieses Streben dann eindringt. Zn
diesem Zwang der Notwendigkeit liegt
soziale Ethik. Reinigend wird diese
Bewegung um sich greifen, alles um-
gestalten und das Bleibende sichern.
Und was sich dann ergibt —
nach Jahrhunderten ■— das ist dann — vielleicht
— als Folge dieser Ehrlichkeit, dieses Ernstes:
der Stil unserer Zeit, unseres Jahrhunderts, und
weiterhin vielleicht: Kultur.

Dieses Streben könnte man dann Wiedergeburt,
Renaissance nennen. Doch in einem Sinne, der mit
dem, was man sonst unter Renaissance versteht,
wenig gemein hat.

Es hieße einfach so viel als: Sich-auf-sich-selbst-
besinnen. Kraft, Wille. Wille zu dem, was mir
organisch ist. Ohne jede Anlehnung an Vergangenes.
Ein festes, selbstsicheres Stehen im natürlichen Boden
und ein Wachsen aus diesen Kräften heraus.

Das traf bei der sogeuannten Renaissance
nicht so ganz zu. Doch war dies in der Entwick-
lungsperiode der damaligen Zeit wohlbegründet,
womit natürlich nicht gesagt ist, daß sie ohne eigene
Kraft war. Es war ein Zünglingszeitalter, in bjin-
gebung (Aneignung) wie Schaffen. Und wie der
 
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