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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 54.1903-1904

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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Volkskunst, Volksbildung, Volks-Museen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7291#0082

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Volkskunst, Volksbildung, volksinnseen.

{5$. Messiugleuchtcr von Franz Ringer, vereinigte Merk-
stätten für Kunst im ksandwerk, München. Muster geschützt.
(l/3 der wirk!. Gr.)

Sammlungen ganz unbedeutend ist, größere Bestand-
teile derselben sowie mustergiltige Arbeiten der Gegen-
wart aus Reisen geschickt. Schreiber dieser Zeilen
war nicht wenig erstaunt im Sommer sst05 zu
Dornbirn in Vorarlberg einer solchen, äußerst gut
gewählten und vortrefflich arrangierten Ausstellung
zu begegnen, bei welcher Vorträge von Museums-
beamten gehalten, sowie alle nur wünschbareu Er-
läuterungen gegeben wurden. Aus diese Meise wird
natürlich außerordentlich viel Anregung verbreitet;
man ist außerdem, trotz Anwendung aller Vorsicht,
nicht besorgt darum, ob etwa eines oder das andere
Stück der zum Teil kostbaren Ausstellungsobjekte
durch den Transport Schaden nehmen könnte. An
maßgebender Stelle wird eben der Zweck der Wiener
Zentralmuseumsanlagen in richtiger Weise zum Aus-
druck gebracht, wie denn überhaupt die Organisation
des industriellen Bildungswesens in Österreich auf
einer pöhe steht, von der inan anderwärts leicht
allerlei lernen könnte.

Die in Deutschland fast überall ins Leben ge-
rufenen, populär gehaltenen Vorträge und Führungen

zeigen durch die numerische Beteiligung, daß in
breiten Schichten das Bedürfnis nach etwas anderem,
als nach dem Wirtshausleben in freien Stunden
mächtig Platz greift. Gerade die geistig vorwärts-
strebendcn Elemente der Arbeiterschaft beteiligen sich
in hervorragendem Maße an diesen Veranstaltungen.
Lange nicht alle können zugelassen werden, denn der
Zuschnitt der Möglichkeiten hat jenes Maß noch nicht
erreicht, was, wie bei den amerikanischen Museen,
von Anfang an mit Massen rechnet. Nicht ganz
zweckmäßig erscheint es, das wenig oder gar nicht
vorgebildete Auge mit künstlerisch hochstehenden
Schöpfungen zu beschäftigen. Das Verständnis dafür
ist naturgemäß gering, mithin auch der Nutzen, der
aus der geschichtlich geboteneu Belehrung entspringt.
Die Leute aber an solchen Objekten durch ästhetische
Auseinandersetzungen das „Sehen" lehren zu wollen,
ist absolut vergebene Liebesmüh. Pier reicht nicht
Verstand des pörers, nicht guter Wille des Dozenten
aus. Imponderabilien werden nicht auf diese Weise
gewonnen. Dagegen aber bietet die Vorführung der
Naturform entschieden all jene Momente, die zur
Erlangung einer gewissen Einsicht führen, ja mit
dem Erkennen der Naturform und ihrer Gesetz-
mäßigkeit läßt sich vielleicht auch allmählig das Ver-
ständnis für die Wichtigkeit einer naturgemäßen
Lebensführung wachrufen. Es träte somit ein außer-
ordentlich wichtiges, weiter erzieherisches Moment
hinzu. Zu verwerfen aber wären prinzipiell all jene
Bildungsversuche, die mit einem gewissen Vorstel-
lungsvermögen rechnen, Naturbetrachtung anstellen,
ohne den Naturkörper beizuziehen. Auch hier wieder
muß die Möglichkeit so nahe wie nur tunlich gerückt
sein, alles Gesagte am Originale kontrollieren zu
können. Das Objekt in der pand des Dozenten
allein ist wirkungslos.

Alles das, dem reisen Menschen geboten, wird
nie und nimmer imstande sein, die gleichen Resultate
zu zeitigen, wie wenn die Anregung, die das Aind
überall aus der Natur mit eigener Initiative zu
schöpfen vermag, durch die Schule, wie es jetzt der
Fall, nicht zugrunde gerichtet, sondern weiter aus-
gebaut wird. Die dringende Forderung, das Aind
nicht zum Opfer einer schematischen Behandlung
in seinem Bildungsgänge zu machen, wird immer
lauter. Wenn Ellen Aey in ihrem geistreichen Buche
über Aiudererziehung die Gestaltung dieser Aufgaben
für künftige Zeiten zusamnrenfafsend als: „Das

Jahrhundert des Aindes" bezeichnte, fo hat sie
natürlich einer vorerst überlegenen negierenden Ma-
jorität ihre Vorschläge entgegengebracht. Die immer
mehr sich steigernde Forderung, unsere Museen breiten
Volksschichten zu Bildungsstätten im wahren Sinne

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