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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 54.1903-1904

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Chronik des Bayer. Kunstgewerbevereins
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Chronik des Bayer. Kunstgewerbevereins.

Muuchenl'JQ*

228 u. 229. Lallabzcichen. Ans
der Fabrik von Gg. Lin du er,
Entwurfskizzen von Hans Witt-
mann. Modelle von Ed. voit,
München. (s,4 d. w. Gr.)

größeren Spaziergängen zu den letzten erhaltenen Zeugen
Münchener Bildnerei auf dein Lande; denn was sich in München
erhalten hat. kann nur ein unvollkommenes Bild der Münchener
Plastik des J5. und \6. Jahrhunderts geben. So weist die
Frauenkirche, die doch gewiß in der Spätgotik eine große An-
zahl guter Schnitzaltäre befaß, heute nur mehr einen solchen
Altar auf. Wie es nun nicht angängig ist, die schlichten und
künstlerisch doch so hoch stehenden Landkirchen jener Zeit als
Erzeugnisse einer einfachen, dem platten Lande selbst entsprossenen
Volkskunst zu betrachten, sondern als die werke Münchener
Architekten. ebensowenig kann die Forschung die zumeist in
diesen Kirchen befindliche gotische Plastik als Erzeugnisse einer
ländlichen Volkskunst ansehen; durch ein reiches Beweismaterial
läßt sich im Gegenteil feststellen, daß die Arbeiten, die wir auf
dem Lande finden, entweder direkt von Münchener Künstlern
herstammen oder doch wenigstens von solchen Leuten, die die
Münchener Schule damals genossen hatten. Denn werke von
solcher Vollendung, wie wir sie bei uns auf dem Lande finden,
hervorzubringen, ist einem Landmanne nicht gut möglich. Die
betreffenden künstlerischen Arbeiten erfordern und zeigen ja
auch Schulung, Technik und feinstes Formenverständnis. Gewiß
werden auch ländliche Schnitzer tätig gewesen sein, aber diese
hatten zuvor den Unterricht in der Stadt genossen. Diesen Zu-
sammenhang der Kunst aus dem Lande mit der Münchener Plastik
jener Zeit suchte' der Vortragende dann nachzuweisen an einer
ganzen Reihe von Beispielen, die darlegten,- wie bedeutendere
Klöster (Tegernsee) Münchener Meister beriefen, oder Land,
kirchen, die nach München eingepfarrt waren oder in einem ähn-
lichen Verhältnis zu München standen, dementsprechend ihren
Bedarf an Kunst dort deckten. Ferner gedachte der Redner auch
des interessanten Umstandes, daß gerade auf dem Lande in
kleinen Kirchen und Kapellen sich viele bedeutende Werke er-
hielten, die dem herrschenden Zeitgeschmack des (7. und (8. Jahr-

hunderts zum Opfer fallend, aus größeren Kirchen hinaus
restauriert worden waren. Allach, Menzing, Aubing bieten
die Nächstliegenden Beispiele von vorzüglichen Schnitzereien, an
denen zweifellos Münchener Künstler die Hände im Spiele
hatten; ganz hervorragendes aber enthalten die Kirchen zu
Pipxing — Ende des (2. Jahrhunderts, mit plastischen Arbeiten
aus Münchens bester gotischer Zeit — und zu Blntenburg
(Apostelfiguren), vergleiche mit den Apostelfiguren P. vischers
am Sebaldnsgrab in Nürnberg und mit denen T. Riemen-
schneiders im Bayer. Nationalmuseum lassen die Blntenburger
Figuren diesen mindestens ebenbürtig erscheinen. Der vor-
tragende berührte dann noch eine Anzahl anderer Orte, immer
bestrebt, die Fäden darzulegen, die nach München führen:
Staudach bei Ammerland, Walchstadt, Merlbach, Aufkirchen,
Haarkirchen. wang, Neufahrn, Leutstetten usw. Aus den
Untersuchungen ergab sich dem Vortragenden die Tatsache, daß
die Münchener Plastik in bezug auf charakteristisches Erfassen
und warmes Empfinden in den letzten zwei Jahrzehnten des
\5. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte. Als einen der
wenigen uns mit Namen bekannten Bildhauer, zugleich auch
einer der tüchtigste!:, tritt uns der vielgereiste, viclbegehrte
Erasmus Graffer entgegen, der den trefflichen Grabstein des
U. Aresinger in der Peterskirche und die köstlichen Narren-
figuren im alten Rathaus schuf und dein wohl auch ein
Schrein in der Wallfahrtskirche zn Rainersdorf zuzuschreiben
ist; auch das Lhorgestühl der Frauenkirche gehört seinem Kreise
an. Ein anderer Meister, den wir zwar in München selbst
nicht treffen, dessen Kunst aber ohne Beziehungen zn München
nicht gut zu denken sei, ist Wolfgang Leb, der Meister der
Stiftergräber zn Lbersberg und Attel. Wie stets fand auch
dieser Vortrag des vortrefflichen, immer wieder gern gehörteil
Redners reichsten Beifall.

.Fünfter Abend — den (. Dezember — Ausstellung
von Skizzen und Arbeiten — musikalische Unterhaltung. -
Ausgestellt hatten: August Brandes (Dekorationsmalereien
landschaftliche und andere Studien). Alois Börsä, (Medaillen
Münzen und Plaketten), Jacobs & Kainz (Dekorations
Malereien, Pstanzenstudien), Jos. Köpf (7 Modelle für Brunnen.
Fassadendekorationen zur Ausführung in Kunststein), Mar
Mandl (2( verschiedene Zeichnungen. Farbskizzen zu Diplo-
men rc.). Karl Neppel (s Zeichnungen und Entwürfe zu
Kleingerät), Ernst Riegel (28 Blatt Entwürfe zu Schinuck-
sachen und Gefäßen ans Edelmetall), herin. S öfn er (Entwürfe
zn Netallarbeiten), Frl. Thea wittmann (\ \ Entwürfe, be
sonders zu Tapeten). — Den musikalischen Teil des Abends
hatte neben einem kleinen Orchester ein Ouartett aus dem
hoftheatersingchor, bestehend aus den Herren Lienbacher,
Recke meyer, Ziegler und Rn pp recht übernommen.

Ein Linder-Weihnachtsfest fand am Sonntag den z. Januar
nachniittags statt. In dein prächtig ausgeschinückten Festsaal
war eine dichtgedrängte Schar Kinder mit ihren Eltern ver-
sammelt, als die Feier mit Musik und einer Ansprache Dr. Halms
eröffnet wurde; Lichtbilder (nach Ludwig Richter) mit par-
monium- und Harfenbegleitung bereiteten auf den Ehristbaum
vor, der bei Erlöschen des letzten (weihnachts-) Bildes plötzlich
elektrisch entzündet wurde. Im weiteren Verlauf der Feier,
die durch stimmungsvolle Gesänge der Familien Lohr und
Steinicken eine besondere weihe erhielt, brachte Bildhauer
Bradl als Nikolaus den Kindern die längst ersehnten Körbchen,
worauf der Loosverkauf begann; den offiziellen Schluß bildeten
die musikalisch begleiteten Lichtbilder des „Struwwelpeter".

verantw. Red.: j)rof. £. Ginelin. — herausgegeben vorn Bayer. Aunstgewerbeverein. — Druck und Verlag von R. Gldenbourg, München.
 
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