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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 54.1903-1904

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Chronik des Bayerischen Kunstgewerbevereins
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https://doi.org/10.11588/diglit.7291#0253

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Ehronik des Bayer. Kunstgewerbevereins.

435. Bücherschrank; aus den Werkstätten von A. Pösseubacher,
München. Blaugebeiztes Rüsternholz, die Poren oxydgrün ausgerieben;
Flachschnitzerei, Kathedralverglasuug, Kupferbeschläge.

in vier Schulen mit 4300 Kindern versuche in großem
Maßstab anstellen lassen, von deren Ergebnissen er
eine Auswahl vorführte. Schon frühe zeichnet das
Kind (wenn sich selbst überlassen) den Menschen, aber
mehr nach dem sprachlich fixierten Wissen als nach der
Anschauung von der Sache, und zwar ziemlich schema-
tisch, was oft Jahre hindurch sich gleich bleibt. Die
zeichnerische Ausdrucksfähigkeit erweist sich bei Mäd-
chen ein gut Stück geringer als bei Knaben. Nach
der Stufe des reinen Schemas entwickelt sich dann
die Ausdrucksfähigkeit; zunächst weist das Schema
da und dort eine Stelle auf, die einer möglichen
Erscheinung oder Form entspricht, z. B. in einzelnen
Körperteilen, in der Beinstellung, im Bewegungs-
ausdruck. Nach und nach nimmt das Erscheinungs-
oder Formgemäße überhand und das Schematische
tritt nur mehr sporadisch auf. Die höchste Vollendung
ist erreicht, wenn nicht nur die zweidimensionale Er-
scheinung, sondern die ganze räumliche Form zuni
Ausdruck gebracht wird. —- Die Aufgaben, die Redner
bei jenen versuchen den Kindern zum Zeichnen stellte,
waren: die Eltern und das Kind selbst, ein Pferd
init Reiter, eine Schneeballeuschlacht. Die letztere Auf-
gabe zielte dahin, zu erkennen, wieweit Kinder im-
stande sind, aus sich heraus und ohne jegliche An-
leitung einen Raum bildlich klar darzustellen. Ls
ergab sich, daß etwa 25—30 der 4500 Kinder diese
Fähigkeit in hoheiu Grad besaßen, darunter einige
von weniger als 8 Lebensjahren; diese oberste Stufe
wird nur von wenigen aus eigener Kraft erreicht,
sehr wahrscheinlich unter dem Einfluß guter Bilder.

Um die in jedem Kinde schlummernde Neigung zur
künstlerischen Betätigung richtig zu erziehen, werden
die künftigen Lehrer nicht mehr das Kind an einer
wohlgedrechselten Methodik hinter sich nachziehen, son-
dern vielmehr das Kind vorausgehen lassen, es be-
obachten, ihm Gelegenheit geben zu eigenem produk-
tiven Schaffen und nur uachhclsen oder anleiten, wo
das eigene Verständnis versagt oder verirren zu
besorgen ist. (Ein Vortrag gleichen Inhalts, der
schon am ;5. März vor einer allgemeinen Zuhörerschaft von
vr. Kerschcusteiuer gehalten worden, ist in der Beilage der
„Allg. Ztg." Nr. 73 vom 29. März 4904. gedruckt und auch
als Sonderabdruck erschienen.)

(Am 29. März fand die ordentliche Generalversammlung
statt, worauf die Gsterxause folgte.)

Sechzehnter Abend — den \2. April —- Vortrag von
Major Bau mann über „Island." In bekannter lebendiger
Schilderung und unter Darstelluug zahlreicher, sehr interessanter
Lichtbilder führte Redner die gespannt lauschenden Zuhörer
über das nordische Meer nach dem einsamen nordischen Eiland.
Eine geschichtliche Einleitung ging dem Inselbesuch voraus,
wobei auch derverdienste vr. Konrad v.Maurers gedacht wurde
— des vor p/2 Jahren verstorbeuen Ehrenmitglieds unseres |
Vereins —, dessen Forschungen es gelungen war, das Recht der
Isländer so unzweifelhaft sestzustellen, daß die dänischeRegierung
sich zur Nachgiebigkeit gezwungen sah; seit dieser Zeit hat Island
einen eigene» Minister. Die Seefahrt ging um die Vst- und Nord-
seite der Insel heruin aus die Südwestseite zur lsauxtstadt Reyk-
jawik, von wo der Ritt ins Innere des Landes augetreteti
wurde. Lebendig wußte der Vortragende das Überschreiten der

reißenden Bergströme, das Übernachten in den bäuerlichen
(Puartieren, die Leistungsfähigkeit der kleinen Pferde, die
Wirkungen der vulkanischen Tätigkeit der Berge wie der aus-
dauernden Arbeit der weitgedehnten Gletscher usw. darzustellen.
j Mit gerechter Bewunderung sprach er von der relativ hoheti
und allgemein verbreiteten Bildung des ganzen Volkes, das der
zerstreuten Wohnweise zum Trotz seine Kinder gut unterrichtet
und die langett Winterabende zum Selbststudium und Lesen
benutzt; es ist gar keine Seltenheit, in Bauernhäusern ansehn-
liche Bibliotheken zu finden und Bauern zu treffen, die nicht
nur fremde Sprachen sprechen, sondern sich auch in fremd-
sprachiger Literatur umgesehen haben, und das alles bei einem
durch Viehzucht, Vogelfang, Ausfuhr von Fischen, Wolle,
Tran, Talg, Federn nur mühsam unterhaltene», kärglichen
Auskommen.

Ordentkiche Generakversaimnkung

am 29. März ^904, abends 8 Uhr.

Der Vorsitzende, pofjuwelier Merk, eröffnet die Ver-
sammlung um Uhr, indem er die erschienenen Mitglieder
begrüßt, die Anwesenheit von 46 stimmberechtigten Mitgliedern,

Kunst und Handwerk. 54. Iahrg. Heft 8.

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