59
Die Kunst im Hause. 60
bestimmten historischen Stil durchgeführt, jedes einzelne
Stück richtig und gut wäre und Alles zusammenstimmte,
so würden wir modernen Menschen nnt unsern modernen
Kleidern, modernen Gesichtern und Manieren nicht hinein
passen, brächten bei Benutznng des Zimmers sofort Dis-
harmonie in das sorgfältig hergestellte Ganze.
Wie ganz anders war das dagegen in alter Zeit!
Die Wohnungen in Pompeji und Rom, in spät mittel-
alterlichen Bürgerhäusern und in den Palästen des sech-
zehnten Jahrhunderts, ja selbst die Zimmer aus dcr Zeit
des so oft vcrachteten Rococo waren stets künstlerisch
durchgebildet, stilvoll, harmonisch in ihren Einzelheiten
und einheitlich in ihrer Gesanimtwirkung.
Diese Einrichtungen rnüssen wir zum Muster nehmen,
wenn wir etwas Vollendetes herstellen wollen. Doch dür-
fen wir sie, da sie den Sitten und Gebräuchen alter Zeit
cntsprechen, für unsere iiioderneipBedürfnisse nicht sinnlos
kopiren, sondern wir müssen sie, wie überhaupt die Ge-
genstände alter Kunst und alter Kimstindustrie, studiren,
um aus ihnen den Geist zu erkennen, in welchem sie ge-
fertigt sind und dann nach denselben Prinzipien
neue Gegenstände für unsere modernen Bedürf-
nisse schaffen. Dies ist der praktische Zweck der
archäologischen Studien und der Kunstsammlungen. Die
Dummheiten der stets wechselnden Mode müssen wir mit
aller Macht bckämpfen, dic wahre Knnst im Handwerk in
jedcr Weise besördern, damit unsere Kunst-Jndustrie auf
dicselbe Stufe dcr Vollkommenheit gelange, welche Wissen- I
schast und Knnst hente cinnehmen, und dem Kunsthandwerk
gleichkomme, wie es zur Zeit der röniischen Jmperatoren,
znr Zeit Naffael's und Dürer's und in gewisser Beziehung
selbst noch im Zeitalter des Nococo der Fall war.
Von solcher Höhe der Kunstentfaltuiig ini Vereiche
der Gewerbe und der Jndustrie sind wir gegenwärtig
noch schr weit entfernt. Sie ist das Ziel der in
unsern Tagen überaus thätigen Reaktion gegen den Ein-
fluß der französischen Mode und der Bemühungen für
Vcrbeffernng des Geschmacks auf diesen Gebieten.
Zur Zeit bleibt den Wenigen, welche ihre Wohnung
sich besser einrichten wollen, als die Mode es vorschreibt,
nichts anderes übrig, als, unter Verzicht auf die völ- i
lige Uebereinstimmung dcr Formen, eine malerische
Wirkung in dem Ensemblc der Zimmer zu erstreben. Sie l
niüffen gnte Werke alter Kunst, sei es in Originalen
oder getreuen Kopieen, von den verschiedensten Orten zu-
sammensuchen und sie zn einem möglichst harmonischen
Ganzen verbinden. Einzelne moderne Gegenstände, wie
Oefen, Tapeten, Teppiche, Möbelstvffe, Gläser rc., welche,
Dank der segensreichen Einwirkung der Gewerbe-Museen,
besonders jener zu London, Wien und Berlin, bereits in
nahezu glcicher Güte wie die alten gefertigt werden, lassen
sich den ersteren leicht und ohne Störung der Harmonie
einfügen. Natürlich niüssen dicse oft schr verschiedenartigcn
Gegenstände mit bewußter Absicht, mit Verständniß und
wirklichem Geschmack ausgewählt und mit Rücksicht aus
dekorative Wirkung angeordnet sein, denn ohne diese künst-
lerische Anordnung entsteht leicht der Eindruck der Trödel-
bude. Hat aber ein künstlerischer Sinn geherrscht, Lindet
ein ruhiger Hintergrund das Zerstrcute zusammen, so
werden wir überrascht von der malerischen Haltung und
der harmonischen Wirkung des Ganzen, und es fällt Nie-
mandein ein, daran Anstoß zu nehmen, daß Gegenstände,
deren Ursprung durch Jahrhunderte und ganze Welttheile
getrennt ist, hier neben einander gestellt sind.
Wenn nun der Mangel künstlerischer Harmonie in
den Wohnungen der großen Menge in den überwiegend
nieisten Fällen durch den Mangel eines sicheren, gebildeten
Geschmacks und der Fähigkeit, das wirklich Gute und
Schöne von dem Unrichtigen und Häßlichen zu unterschei-
den, sich erklärt, so erscheint es allen denjenigen, welche
mit der Sache nicht vollkommen vertraut sind, auffallend,
daß oft sogar Männcr, welche die Pflege der Kunst zu
ihrer Lebensaufgabe sich gemacht, wie Künstler und Kunst-
gelehrte, für eine künstlerische Einrichtnng ihrer Wohnung
nicht sorgen, ihrcn eigenen Lehren also damit durch die
That widersprechen. Wer jedoch versucht hat, diese Auf-
gabe zu lösen, wird die Ursachen der Erscheinung kenncn
gelernt haben. Es sind dieS nämlich die Schwierigkeiten der
Erlangnng zusammenpassender alter, der Mangel an fer-
tigen, neuen, stilvollen Gegenständen. Die ersteren kann
nian nur im Verlaufe vieler Jahre und nach eifrigem
Snchen zusanmienbringen, die letzteren findet man, so
weit sie überhaupt angefertigt worden, in unsern dentschen
Städten — Weltstädte wie Berlin und Wien natürlich
ausgenommen — nur in höchst seltenen Fällen und durch
Zufall*). Ein Ersatz der durch den Gebrauch untauglich
gewordenen Stücke ist überaus schwierig. Will man
dergleichen Gegenstände aber besonders anfertigen lassen,
so stößt man überall auf Hindernisse verschiedenster Art.
Geld, Zeit, Geduld werden vielfach übermäßig in Anspruch
genommen nnd verleiden schließlich das Bergnügen des
künstlerischen Schaffens in der Wohnung so sehr, daß
man verzweifelnd es wieder aufgiebt.
Einen wesentlichen und sehr wichtigen Grund bildcn
sodann unsere Miethwohnnngen, in welchcn Wände,
Decken, Fußböden, Fenster, Oefen rc. vorhanden sind nnd
in den meisten Fällen nicht geändert werden dürfen.
Der Mangel eines gebildeten Geschmacks auf dem
speziellen Gebiet der Wohnungs-Dekoration sindet sich
! aber nicht bloß bei dem großen Publikum, sondern oft ge-
nug auch bei künstlerisch gebildeten Leuten, welche ihr Nach-
denken und ihre Studien auf andere Gebiete richten, das
*) Diesem Mangel abhelfen soll das „Album für Woh-
miiigs - Dekoration" von Friedr. Fischbach, wovon das erste
Hest soeben ansgegeben wurde.
Die Kunst im Hause. 60
bestimmten historischen Stil durchgeführt, jedes einzelne
Stück richtig und gut wäre und Alles zusammenstimmte,
so würden wir modernen Menschen nnt unsern modernen
Kleidern, modernen Gesichtern und Manieren nicht hinein
passen, brächten bei Benutznng des Zimmers sofort Dis-
harmonie in das sorgfältig hergestellte Ganze.
Wie ganz anders war das dagegen in alter Zeit!
Die Wohnungen in Pompeji und Rom, in spät mittel-
alterlichen Bürgerhäusern und in den Palästen des sech-
zehnten Jahrhunderts, ja selbst die Zimmer aus dcr Zeit
des so oft vcrachteten Rococo waren stets künstlerisch
durchgebildet, stilvoll, harmonisch in ihren Einzelheiten
und einheitlich in ihrer Gesanimtwirkung.
Diese Einrichtungen rnüssen wir zum Muster nehmen,
wenn wir etwas Vollendetes herstellen wollen. Doch dür-
fen wir sie, da sie den Sitten und Gebräuchen alter Zeit
cntsprechen, für unsere iiioderneipBedürfnisse nicht sinnlos
kopiren, sondern wir müssen sie, wie überhaupt die Ge-
genstände alter Kunst und alter Kimstindustrie, studiren,
um aus ihnen den Geist zu erkennen, in welchem sie ge-
fertigt sind und dann nach denselben Prinzipien
neue Gegenstände für unsere modernen Bedürf-
nisse schaffen. Dies ist der praktische Zweck der
archäologischen Studien und der Kunstsammlungen. Die
Dummheiten der stets wechselnden Mode müssen wir mit
aller Macht bckämpfen, dic wahre Knnst im Handwerk in
jedcr Weise besördern, damit unsere Kunst-Jndustrie auf
dicselbe Stufe dcr Vollkommenheit gelange, welche Wissen- I
schast und Knnst hente cinnehmen, und dem Kunsthandwerk
gleichkomme, wie es zur Zeit der röniischen Jmperatoren,
znr Zeit Naffael's und Dürer's und in gewisser Beziehung
selbst noch im Zeitalter des Nococo der Fall war.
Von solcher Höhe der Kunstentfaltuiig ini Vereiche
der Gewerbe und der Jndustrie sind wir gegenwärtig
noch schr weit entfernt. Sie ist das Ziel der in
unsern Tagen überaus thätigen Reaktion gegen den Ein-
fluß der französischen Mode und der Bemühungen für
Vcrbeffernng des Geschmacks auf diesen Gebieten.
Zur Zeit bleibt den Wenigen, welche ihre Wohnung
sich besser einrichten wollen, als die Mode es vorschreibt,
nichts anderes übrig, als, unter Verzicht auf die völ- i
lige Uebereinstimmung dcr Formen, eine malerische
Wirkung in dem Ensemblc der Zimmer zu erstreben. Sie l
niüffen gnte Werke alter Kunst, sei es in Originalen
oder getreuen Kopieen, von den verschiedensten Orten zu-
sammensuchen und sie zn einem möglichst harmonischen
Ganzen verbinden. Einzelne moderne Gegenstände, wie
Oefen, Tapeten, Teppiche, Möbelstvffe, Gläser rc., welche,
Dank der segensreichen Einwirkung der Gewerbe-Museen,
besonders jener zu London, Wien und Berlin, bereits in
nahezu glcicher Güte wie die alten gefertigt werden, lassen
sich den ersteren leicht und ohne Störung der Harmonie
einfügen. Natürlich niüssen dicse oft schr verschiedenartigcn
Gegenstände mit bewußter Absicht, mit Verständniß und
wirklichem Geschmack ausgewählt und mit Rücksicht aus
dekorative Wirkung angeordnet sein, denn ohne diese künst-
lerische Anordnung entsteht leicht der Eindruck der Trödel-
bude. Hat aber ein künstlerischer Sinn geherrscht, Lindet
ein ruhiger Hintergrund das Zerstrcute zusammen, so
werden wir überrascht von der malerischen Haltung und
der harmonischen Wirkung des Ganzen, und es fällt Nie-
mandein ein, daran Anstoß zu nehmen, daß Gegenstände,
deren Ursprung durch Jahrhunderte und ganze Welttheile
getrennt ist, hier neben einander gestellt sind.
Wenn nun der Mangel künstlerischer Harmonie in
den Wohnungen der großen Menge in den überwiegend
nieisten Fällen durch den Mangel eines sicheren, gebildeten
Geschmacks und der Fähigkeit, das wirklich Gute und
Schöne von dem Unrichtigen und Häßlichen zu unterschei-
den, sich erklärt, so erscheint es allen denjenigen, welche
mit der Sache nicht vollkommen vertraut sind, auffallend,
daß oft sogar Männcr, welche die Pflege der Kunst zu
ihrer Lebensaufgabe sich gemacht, wie Künstler und Kunst-
gelehrte, für eine künstlerische Einrichtnng ihrer Wohnung
nicht sorgen, ihrcn eigenen Lehren also damit durch die
That widersprechen. Wer jedoch versucht hat, diese Auf-
gabe zu lösen, wird die Ursachen der Erscheinung kenncn
gelernt haben. Es sind dieS nämlich die Schwierigkeiten der
Erlangnng zusammenpassender alter, der Mangel an fer-
tigen, neuen, stilvollen Gegenständen. Die ersteren kann
nian nur im Verlaufe vieler Jahre und nach eifrigem
Snchen zusanmienbringen, die letzteren findet man, so
weit sie überhaupt angefertigt worden, in unsern dentschen
Städten — Weltstädte wie Berlin und Wien natürlich
ausgenommen — nur in höchst seltenen Fällen und durch
Zufall*). Ein Ersatz der durch den Gebrauch untauglich
gewordenen Stücke ist überaus schwierig. Will man
dergleichen Gegenstände aber besonders anfertigen lassen,
so stößt man überall auf Hindernisse verschiedenster Art.
Geld, Zeit, Geduld werden vielfach übermäßig in Anspruch
genommen nnd verleiden schließlich das Bergnügen des
künstlerischen Schaffens in der Wohnung so sehr, daß
man verzweifelnd es wieder aufgiebt.
Einen wesentlichen und sehr wichtigen Grund bildcn
sodann unsere Miethwohnnngen, in welchcn Wände,
Decken, Fußböden, Fenster, Oefen rc. vorhanden sind nnd
in den meisten Fällen nicht geändert werden dürfen.
Der Mangel eines gebildeten Geschmacks auf dem
speziellen Gebiet der Wohnungs-Dekoration sindet sich
! aber nicht bloß bei dem großen Publikum, sondern oft ge-
nug auch bei künstlerisch gebildeten Leuten, welche ihr Nach-
denken und ihre Studien auf andere Gebiete richten, das
*) Diesem Mangel abhelfen soll das „Album für Woh-
miiigs - Dekoration" von Friedr. Fischbach, wovon das erste
Hest soeben ansgegeben wurde.