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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 7.1872

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Kupferstich und Kupferdruck in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.4814#0217

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VH-Jahrgang.

Seiträge

sindan vr. C.V.Liitzow
(tvien, Therefianumg.
2s)od.andieVcrlagSH.
(eeixzig, Königsstr. Z>
zu richten.

6. L'eptkinber

Nr. 24.
Änsrrate

L 2 Sgr. für die drei
Mal gespaltene Petit-
zeile werden vonjeder
Buch- und Kunfthand-
lung angenommen.

IS7S.

Beiblatt ziir Zcitschrist sur bildcnde Knnst.

Erscheint alle 14 Tage, für die Abonnenten der „Zeitschrift für bildende Kunst" sratis. Fiir sich allein bezogen tostet die Kunst-Chronik in
allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie bei der Post vom VII. Jahrgang an 1 Thlr. 20 Sgr.

Jnhalt: Kupferstich und KuPferdruck in Wien. — Korrespondenz:
Amsterdam iLeihausstcllung alter Bilder; Galerie Fodor). — Kunst-
litcratur: Grässe, Katalog des Grünen GewölbcS; Meher'S
Äiinstler-Lexikon. — Nckrologe: R. Kretschmer; Aug. Beck. — Knnst-
gewerbliibe AuSstcllnng in Berlin; A. und O. Ächenbachst Pariser
Salon; Mailänder Ausstcllung; W. Camphausen; L. Knaus; A.
Baur. — Zeitschristcn. — Berichte vom Kunstmarkt: AmSler
L Ruthardt's nächstc Bersteigerung; Ncuigkeiten des Buch- und Kunst-
handelS. — Jnserate.

Gupferstich und kupfcrdrnck in Wien.

„Wer wird denn heutzutagc seine Sachen in Kupfer
stechen lassen? Jetzt läßt man seine Arbeiten photographiren
und damit Punktum!" So sagte mir einmal ein hoch-
gestellter, wenn auch nicht hochstehender Maler; und
ich konnte ihm darin nur Recht geben. Meisterwerke, als
da sind die „Einführung des Rundgesangs in Bonzenheim
durch Herzog Hruodibold den Durstreichen" oder aber
„Karl der Große legt den Grundstein zu dem berühmten
Bockkeller zu Saufungen" und dergl. mehr, sind gerade
noch das salpetersaure Silber werth, mit dem der schöpfe-
rische Genius selbst seinen Ruhm nicht zu theuer bezahlt.
Jst ja doch noch Aussicht vorhanden, daß diese Lichtbilder
den Ruhm des modernen Künstlers überdauern.

Da waren freilich die Meister frühererJahrhunderte,
in denen die Photochemie noch im höllischen Dunkel lag,
viel schlimmer daran! Der arme Raffael mußte sich mit
der Reproduktion durch Marcanton begnügen und darum
vier Jahrhunderte lang in kläglicher Unverständlichkeit
umgehen, gleich St. Dionysius mit dem eigenen Kopfe in
der Hand, bis endlich die unfehlbare (ÜLwerLi obsvuru ihn
von seiuer Scheinexistenz erlöste und ihm den eigenen
Kopf wieder aufsetzte. Armer Raffael! Warum bist du
uicht 400 Jahre später geboren? Wie wäre es dir wohl
geworden unter uns, nachdem wir „es so herrlich weit
gebracht haben." Du hättest auch deine Modellstellungen,
deine Draperien und Gruppen so bequem photographisch
studiren können und wärest jedenfalls sogleich überall
vergöttert und richtig verstanden worden, wenn deine

Werke unverzüglich bei Bruckmann in München erschienen
wären. Statt dessen aber mußtest du Aermster dich Jahr-
hnnderte lang von den Kupferstechern todt stechen lassen!

Wie rüstig aber auch die Fetischpriester unserer photo-
chemischen Jndustrie Zunge und Feder rühren, die Todten
sind hartnäckiger als alle Lebenden. Auf die mitleidige
Geringschätzung seiner Kunst antwortet Marcanton mit
der enormsten Preissteigerung seiner Werke, er verlangt
plötzlich Hunderte, ja Tausende für ein einziges Blatt;
und der todtgestochene Raffael ist auch nicht zufrieden
damit, daß wir ihn so säuberlich photographiren, sondern
er läßt immer wieder auf's Neue seine Werke in Kupfer
stechen, und wäre ihnen dieß auch bereits zwanzig oder
gar vierzig mal zugestoßen. Und das böse Beispiel dcr
großen Todten verdirbt endlich auch die guten Sitten
der Lebenden. Es predigt uns unausgesetzt die alte
Wahrheit, daß der Küustler uur wieder auf dem Wege
der Kunst seine publicistische Apotheose feiern kann; und
die vornehmste Art derselben bleibt nach wie vor der
Kupferstich.

Dem sich fortwährend erweiternden Kreise der Kunst-
verständigen kann wahrlich nicht nachgesagt werden, daß
sie die Errungeuschaften der photographischen Techuik
unterschätzten. Siefreuen sich ihrerFortschritte und bedicnen
sich eifrig ihrer Produkte zum Zwecke eingehender Studien.
Aber sie unterscheiden zwischen einem physikalischen
Spiegelbild und zwischen einer Nachbildung, in wclche
aus der warmen Menschenhand unmittelbar das Leben
in den todten Stoff geflossen ist. Als Mittel zum Zweck
kann die Photographie nicht hoch genug geschätzt werden;
ein selbständiger, unbedingter Kunstwerth dagegen ist
auch der fixirten läta morALnu nicht beizumefsen.

Je deutlicher dieser Gegensatz zwischen Kunst und
Judustrie ausgesprochen, je besser der Unterschied zwischen
beiden verstanden wird, Lesto mehr Nutzen kann den Be-
strebungen auf beiden Gebieteu daraus erwachsen. Nnd
 
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