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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 7.1872

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Die Konkurrenz-Entwürfe zum Berliner Goethe-Denkmal, [1]
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325.

Die Konkurrern-Entwiirfe zum Berliner Goetbe-Denkmal.

32«;

und daran wird durch das Bekanutwerden der ctwas natu-
ralistischcren, aber anch sehr viel weniger geistvolle» gleich-
Zeitigen Tieck'schen Büste (die von 1801 hat als in hohem
Grade abhängig von Trippel wenig selbständigen Werth)
zum Besten der Sache sicher nichts geändert. Aus der
früheren Zeit fehlt es auf's Auffälligste an klassischen Be-
urkundnngen über Goethe's äußere Erscheinung von
Künstlerhand, und die schnell beliebt gewordeue Trippel'-
sche Biiste, von dcr Goethe, alS ste gcmacht wurde, aus
Roin unterm 12. September 1787 schrieb: „Jch habe
nichts dagegen, daß die Jdee, als hätte ich so ausgesehen, '
iu der Welt bleibt", — half, al's sie vor drei Jahren durch
Abgüsse verbreitet wurde, einem wirklichen Bedürfniß ab
und brachte nun crst einen Eindruck hervor, desseu Tiefe,
Kraft und Nachhaltigkeit wir bei dieser Konkurrenz stau-
uend gewahr werden: Trippel hat gesiegt, und wie mir
scheint, mit vollständigstem Rechte.

Was geht uns, wenn wir dem Dichter Gocthe ein
Denkmal setzen wollen, der altc Herr Geheimrath an?
Ich weiß sehr wohl, daß cin gewisscr literarischer Haut-
gont den letzteren vorzugsweise in Affektion und Kom-
mission genommen hat; aber das ist doch eine rciu patho-
logischeAnschauung. Man nehme eininal das chronologische
Verzeichniß von Goethe's Werken zur Haud und beant-
worte sich uach dieser Urkunde vorurtheilsfrei die Frage i
ob Goethe durch irgend etwas von dem, was er nach
Schiller's Tode (1805) geschrieben hat, als Dichter und
für dic Nation etwas im geringsten wesentlich Anderes
geworden ist, als er durch seine Thätigkeit bis zu jenem
Zeitpunkte bereits geworden war. Es kann bei der Ant-
wort hierauf natürlich nicht in's Gewicht sallen, daß einige
größere und eine beträchtliche Anzahl kleinerer Werke we-
nigstcns ihrec Ausführung, zum Theil auch ihrem Plane
nach in die spätere Pcriode fallen, Werke, die wir, nachdem.
wir sie kennen gclernt, uni keinen Preis missen möchten.
Wäre aber der westöstliche Divan wirklich ungeschrieben
gcblieben, so hätte freilich Herr vr. Herman Grimm eine
seiner welterschütternden Entdeckungen nicht machen kön-
nen, und ein Hochgenuß aus einer großen Anzahl köst-
licher Gedichte wäre uns vorenthalten; aber der gewaltige
DichtevGoethe entbehrte keines wesentlichen Stückes seiner
Jndividualität, cr wird durch das Werk in seiner Er-
scheinung ctwas völliger, dicker, aber er wird nicht größer
dadurch. Ebenso mit allem Uebrigen.

Der Nauch'sche idealisirte Goethe vom Jahre 1820
ist ein herrlicher Greis, aber der ungetrübte Eindruck hält
sich nur in der Büste. Dic köstliche Rauch'sche Statuette,
die als solche und als ein Zeugniß aus der Goethe'schen
Spätzeit unschätzbar ist, kann an der Klippe des absoluten
Philisteriums nicht vorbei; nnd damit hat sie anch vollkom-
men recht. Ein Goethe kann zwar unter keinen Umständen
und in keincm Alter solch ein ekelhafter und langweiligcr
Philister werden, wie derjenige, der Zeitlebens nie etwas

anderes gewesen; aber Philister war er geworden, pedantisch
steif und unbcweglich, mit dcr gewohnheitsmäßigenGönner-
miene, jeder eigenen Beschäftigung mit ungeheurcrWichtig-
thuerei hingegeben, auf Klcinigkeiten erstaunlichen Werth
legend.

Warum aber in aller Welt sollen wir uns, wo
wir — wenn nicht unsern größten (dieses Urtheil halte
ich für abgeschmackt), so koch sicher — eincn unserer beiden
größten Dichter im Denkmal vor unsere leiblichen Augen
hinstcllen wolten, den Mann vorführen lassen, der das
mit Bcgeisterung Bewunderte gar nicht gemacht hat, den
Mann, der der Zeit seinen Tribut abträgt, an Stelle des
Unsterblichen? Den Mann, der die nationale Erhebung
der Freiheitskriege theilnahmlos, ja widcrwillig an sich
vorbeirauschen ließ, an Stelle des nationalcn Heros?
Der Goethe, den gewisse Laute nachahmen, „wie er
räuspert und wie er spuckt", das ist der Goethe in dem
langen Rock der Rauch'schen Statuette. Laßt die doch
ruhig ihren Kultus bci sich zu Hanse treiben! Der
Goethe, der stolz vou sich sagen durftc: „Hätt' ich mir
nicht selber ein Denkmal gesetzt, das Denkmal, wo käm'
es denii her?" — der Goethe, der im vollen Bewußtsein
seiner Größe und seiuer Würde ein Denkmal als schul-
digen Tribut seincs Volkes eintreiben kann, das ist der
Goethe, der in rascher Folge epochemachende und ewige
Werke geschaffen hat und ganz in dieser Thätigkeit auf-
geht, der Goethe vor und bis 1805, nicht der sich fort-
schreitend überlebcnde, dcr durch ein Vierteljahrhundert
noch eine spärliche Nachlese hält, ohne zu einer originalen,
bahnbrechenden Thätigkeit mehr zn gelangen.

Es würde mich gar nicht befremden, wenn über diese
bündige Anseinandersetzuug Zetergeschrci von gewissen
Seiten erhoben werdcn sollte; das kann mich aber wenig
kllmmern und noch weniger beirren. Ich weiß vorher,
daß sachlich nichts dagegen eingewendet werden wird, weil
das eben nicht möglich ist; nnd für die Dogmatik des
blindcn Kultus habe ich überhaupt kein Organ, also auch
keines der Furcht ihren Fluchparagraphen gegenüber.
Der Goethe, der 1765 bis >805 dichtete, ist mehr als
groß genug, nm auf den Znwachs spätercr Jahre zu vcr-
zichteu; er ist der große Dichter von A bis Z, und den
soll man uns zeigen. Jst der seiner äußcren Erscheinung
nach nicht bekannt, um so schlimmer; dann stellt ihn rccht
mitten in's Leben hinein, damit die Leutc'ihn kennen
lernen.

Es ist gewiß merkwürdig glücklich, wie ausgcsucht
passend dem Bedürfniß die Trippel'sche Büste entgegen-
koinmt, denn innerhalb jeuer Zeit der Gocthe'schen Pro-
dnktivität bezeichnet der Aufcnthalt in Jtalien den Höhe-
pnnkt; hier werden die Hauptwerke abgeschlosscn, bearbeitct,
konzipirt, dicse knrze Spanne Zeit der italienischen Reise
beleuchtet und verklärt rückwärts und vorwärts seine ganze
Schasscnszeit; es ist der Gipfelpunkt seines Daseins. Die
 
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