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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 7.1872

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Kinkel, Gottfried: Die Madonna von Loretto
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https://doi.org/10.11588/diglit.4814#0194

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Die Madonna von Loretto.

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Jahr >510, also in die Periode, als Naffael im Batikan
die Oamsrn äella Ke^nutniki ausmalte, und bringt für die
Gleichzeitigkeit einen neuen, uns interessanten Beweis,
daß nämlich die alte griechische Figur der Jnstitia in der
genannten Stanza, welche anerkannter Maßen nicht von
Raffael's eigener Hand gemalt ist, in Kleidung, Haltung
nnd Gesichtsziigen vollkommen zu derMabonna vonLoretto
stimmt und folglich von diesem, als einem unbezweifelten
Original Raffael's, abgeleitet ist. Ei' erhebt es ferner
zur Wahrscheinlichkeit, daß Julius II. der Kirche S. Maria
del Popolo der von seinem Verwandten Sixtus IV. er-
bauten Familienkirche seines Hauses, selbst die beiden
Bilder geschenkt habe, die sich dort nach Vasari's erster
Ausgabe bereits 1550 befanden: nämlich sein eignes
höchst lebendiges Portrait und diese heilige Familie
Raffael's. Nun aber folgt ein Hauptresultat vou Herrn
Vögelin's Nachsuchungen. Aus drei von einander unab-
hängigen, den Biographen Raffael's bisher entgaugenen
Zeuguissen weist er nach, daß der Cardinal Paoio Emilio
Sfondrato, der als Nipote Gregors XIV. inNomallniächtig
war, im Jahre 1591 das Bild halb zwangsweise
der Kirche gegen eine Zahlung von 100 Scudi ab-
preßte*). Mit seinem Tode (1618) verschwindet auf
huudert Jahre jede Spur des Bildes-

Eine Beschreibung von Loretto, welche Vincenzo
Murri 1741 heransgab, berichlet, daß eiu Römer Giro-
lamo Loterio die Kirche von Loretto zur Universal-Erbiu
eingesetzt und ihr damit auch ein Bilb Raffael's vermacht
habe, dessen Beschreibung mit der Komposition jener
Rasfaet'schen heiligen Familie vollkommen stimnit. Es sei
dies Bild in der Schatzkammer in einem hölzernen Kasten
verschlossen gewesen. Passavanl giebt, ohne seine Quelle
anzuführen, auch die Inschrift, die anf diesem Kasten
gestanden; nach ihr wäre das Bild mit jener Erbschaft
1717 nach Loretto gekommen und dort in der Sckatz-
kammer aufgestellt worden*'*).

Von hier an verfolgt der Verfassermit deni möglichsten
Fleiße dies Bild durch die Nachrichten der Kunstreisenden,
die Jtalien besuchen. Gewiß muß dabei auffallen, daß
die Schilderungen und Ilrtheile so verschieden lauten: daß
einzelneu Reisenven in Loretto eine Naffaet'sche Madonna
niit dem Kiud auf dem Schooße, eincm audern, dem
Dichter Matthison, eine VisrAL uu cüuäoms gezeigt wird,
daß bei einigen bedeutenden Kunstkennern das Schweigen

") Rechberg im Leben Nafsaet's weiß die Tbatsache,
daß Sfondraw das Bild besaß, führt aber dasür keine
Quelle an.

") Diese Jnschrift lautete nach Passavant: „kiewium

prineipi!, Hupliuelis Luuetii birbinlttis opus, guod Ilieron^mus
Ooltorius Hoiuunus Lueruo llomui illuurvtuniie buerolli
I X usso roliguit, lul peronuem pii tostLtoris memorium,
I 'lomoutk XI. k. o. LI. unuueute, in Imuretuno ll'Iiesnuro
oolloelitmn. ost nnno 1). LIV06XVII.

über ein solches Bild auffällt, währeud andere das Bild
geradezu schlecht finden*). Der Verfasser zieht aus
der Znsammenstellung sämmtlicher Berichte folgenden
Schluß: „Es scheint also, daß bis 1749 im Schatz zu
Lorelto ein ganz vorzügliches Exemplar (möglicherweise
das Original) unserer Komposition aufgestellt war; daß
dieses aber in deu füufziger Jahren abhanden kam; und
daß seit.dieser Zeit die Chorherren einc Auswahl mehr
oder minder schlechter Kopien, auch ganz fremder Bilder,
in Vorrath hatten, die den Andächtigeu als „Madonna
von Loretto" vorgewiesen wurden".

Diesen Schlnß halte ich an sich selbst nicht für völlig
erwiesen; er erhält aber in seiner zweiten Hälfte eine auf-
fallende Bestätigung dnrch die Umstände, unter denen die
Madonna von Loretto zur Zcit der Revolution nach Paris
gekommen ist. Auch dieseu Uinständen folgt der Verfasser
mit ruhig sichtender Kritik.

Den gewöhnlichen Annahmeu geniäß hätten bie
Franzosen dasBild ausLoretto geranbt, als Bonaparte
dort den 14. Febrnar 1796 einrückte und alle noch vor-
handenen Werthsachen plünderte. Der Verfasser hat da
gegen unwidersprechlich dargethan, daß die Raffael'sche
Madonna sowohl als der Schatz von Loretto vorher
durch den römischen General Colli nach Rom in Sicher-
heit gebracht war, und daß nur zwei andere Bilder aus
Loretto unter der Kriegsbeute figuriren. Das Bild kam
in den Palast des Duca Braschi, des Nipoten des re-
gierendeu Papstes Pius VI., und auS diesemPalast erhiel-
ten die Franzosen das Bild. Wie und auf welche Be-
dingungen, ist unbekannt. Es wurde auch später'von
römischer Seite nicht reclamirt, ein neuer Beweis, daß
eS nicht als Kriegsbeutc nach Paris gelangt ist.

Die Annahme von einem Nanbe durch die Franzosen
beruht wohl sicher auf einer Verwechselung. Die Truppen
Bonaparte's sanden allerdings in Lvretto noäi das eigent-
liche Gnadenbild der Madonna vor, eiue hölzerne
Statne mit zum Theil falschen Edelsteinen geschmückt.
Diese Statue haben sie denn auch mitgcnoininen und nach
Paris gebracht, von wo sie nach dem Frieden in die
Santa Casa zurückgekommen ist. Es lag uahe, diese
künstlerisch werthlose Figur mit der berühmten Madonna
di Loretto von Rafsael's Hand zusammenzuwerfen.

Jn Paris überzeugte man sich bald, daß das aus
dem Palaste Braschi erworbeue Bild ein schlechtes Bild

*) Eiue Aeußeruiig scheint mir von dem Verfasser miß-
vcrstanden. Er sagt, ein verwegener Reisender, der 1773
nach Nom ging, habe über das Bild gespottet. Seine
Worte lanten: „OepeuclÄNt. II osr encore un inoreenu rnre
itnns In snlle <Iu tresor, ot üont In vue est pour le moins
uussi piguunte pour les umuteurs (wie die Juwelen). O'est
nn tubleuu lle lu 8te. Vier^o pur Ituptiirel ll'Orbin. 8i I'on
suge tle lu beuuts pur I'nttontion uvee luguelle il vst eonservs,
II pnroit gue N. LI. les Obunoines äe I,orette en eonnuissenl
tout le prix". Daö ist doch gewiß nicht als Spott genieint.
 
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