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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 7.1872

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Helbig, W.: Die neuesten Erwerbungen des Berliner Museums
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https://doi.org/10.11588/diglit.4814#0227

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Die neuesten Erwerbungen des Berliner Museums.

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als Hilfsmittel zur Herstellung verschiedeuer Winkel benutzt
wurde. Bei dem Zeichenunterricht, der bekanntlich von
einer gewissermaßen geometrischen Grundlage ausging,
war ein solches Jnstrument vollkommen am Platze. End-
lich ist noch zu bemerken, daß sich die Form der Dostpeltafel,
welche der Lehrer in der Hand hält von der, wie sie
auf antiken Denkmälern den Diptychen eigen zu sein
pflegt, die wir mit Sicherheit als zum Schreiben bestimmt
betrachten dürfen, beträchtlich unterscheidet. Die beiden
Täfelchen hängen nämlich nicht, wie es bei den letzteren
der Fall ist, mit der Langseite, sondern mit der Schmal-
seite zusammen, derartig, daß sie nicht von der Seite,
sondern in der Richtung von oben nach unten zu-
geklappt wurden. Wie auf der anderen Seite der Schale
schließt auch hier ein bärtiger Mann, der einen Stab hält,
die Darstellung ab. Das Mittelbild der Schale läßt
uns, obwohl aus demselben ein Stück herausgebrochen ist,
mit hinlänglicher Deutlichkeit einen Jüngling crkennen,
der beschäftigt ist, die Sandalen an- oder abzuschnallen.
Neben ihm hängtsein Gewand und an einem Wasserbeckcn
lehnt sein Stab. Der im Hintergrunde angebrachte, mit
Sand gefnllte Schlauch an welchem die Alten

ihre Muskelkraft übten, weist darauf hin, daß der Illng-
ling im Begriff steht, gymnastische Uebungen vorzunehmen
oder daß cr solche vollbracht hat. Also veranschaulichen
uns diese Bilder den griechischen Iugendunterricht in
seinen Hauptgegenständen, der Grammatik, der Musik,
der Gymnastik, wozu noch, wenn die im Obigcn von mir
begründete Vermuthung richtig war, dasZeichnen kommen
würde.

Höchst interessant ist die Schale in stilistischer und
epigraphischer Hinsicht. Während nämlich die Bilder
hinsichtlich der Stellung der Gestalten, der Behandlung
der Falten, des Ausdruckes der Augen, die, obwohl die
Gesichter im Profil dargestcllt sind, durchweg en lacs
gebildet erscheinen, auf eine noch gebundene Ent-
wickelung hinweisen, verräthdie feine Individualisirung der
verschiedenen Charaktere ein ungleich vorgeschrittencs Sta-
dium der Kunst. Die Aufnierksamkeit, mit welcher der
Zeichen- oder Schreiblehrer der Korrektur des in seiner
Hand befiudlichen Pensums obliegt, ist in der bezeich-
nendsten Weise wiedergcgeben. Wahrhaft staunenswerth
ist es, wie der Vasenmaler in den auf verhältnißmäßig
kleine Dimcnsionen beschränkten Knabenköpfchen durch die
Zeichnung des Mundes und bisweilen durch geschickte
Markirung der Pupille einen Zug von Schalkhaftigkeit
oder Unvcrschämtheit auszudrücken wußte. Kurz, wir
empfangeu den Eindruck, als seien die Formen eincs von
Altcrs her übcrlieferten Stiles äußerlich im Ganzen fest-
gehalten, während die Auffafsungsweise von dem Geiste
eiuer jüngeren, freieren Entwickelung bedingt ist- Und
zwar würde, wenn es gestattet ist, die Vasenmalerei nach dem
Gange der Skulptur zu Leurtheilen, die dem Duris

eigenthümliche Fähigkeit, Typen und Affekte zu indivi-
dualisiren, kaum vor die Entwickelung der zweiten atti-
schen Schule angesctzt werden können. Mit dieser An-
nahme stinimt der Jnhalt der Darstellungen. Wir
begegnen unter den Unterrichtsgcgenständcn auch dem
Flötenspiele. Aristoteles sagt ausdrücklich, die Athener
hätten vormals den Unterricht auf diesem Instrumente
verworfen. Hicraus ergiebt sich soviel mit Gewißheit,
daß die Sachlage zu seincr Zeit eine andere war, daß der
Flötenuntcrricht damals in besserem Anseheu staud, als
früher. Wiewohl wir keine bestimmten Angaben besitzen,
wanu diescr Umschwung der öffentlichcn Meinung Statt
fand, so spricht doch allc Wahrscheinlichkeit dafür, daß
dies nicht lange vor Aristoteles der Fall war. Philetairos
nämlich, den wir als Zeitgenossen des Hypereides kennen,
schrieb eine Komödie, dereu Titel „Der Flötenuarr" und
deren erhaltene Fragmente bewcisen, daß darin die Bc-
geisterung, welchein gewissenKrciseudes gleichzeitigenAthen
für die Flötc herrschte, persiflirt wurde. Damals also wird
der Umschwung zu Gunsten der Flöte, den die Angabe
des Aristoteles voraussetzeu läßt, begonnen haben. Mag
diese Richtung anfänglich auf Widerspruch gestoßensein, so
erlangte sie doch baldigst allgemeine Geltung; denn die
Flöte erscheint auf rothfigurigen Gefäßen vollständig freien
Stils, einer Gattung, deren Ausbildung wir etwa
um dic Mitte des vierten Jahrhunderts aunehmcn
dürfen, sehr häufig in den Händen von Jüng-
lingeu, die mit Gastmählern beschäftigt sind oder im
Komos einherziehen. Da demnach Duris in der Dar-
stellung der Schule den Flötenunterricht beifügte, so wird
seine Thätigkeit kaum früher angesetzt werden dürfen, als
gegen die Mitte des viertcn Jahrhundcrts v. Chr. Noch
weiter herabrückeu müsscn wir ihn, wenn sich meine Ver-
mnthung bestätigt, daß auf seiner Schale der Zeichen-
unterricht dargestellt ist. Bekanntlich wurde dcrselbe in
Folge der Leistungen der sikyonischcn Malerschulc, in
dereu strenger Zucht die Griechen ein pädagogisches Ele-
iiient erkannteu, den Disciplincn beigefügt, auf dencn die
Bildung dcs freien Griechcn beruhte. Die Blüthe der
Schule von Sikyon aber fällt kurz vor die Alexander-
epoche. Endlich stimint mit der Annahme, daß Duris in
verhältnißmäßig späte Zeit fällt, eine alphabetische Er-
scheinung anf der Schale. Ihre Jnschriften zeigen
im Ganzen das attische Alphabct, wie cs bis 01. 84 üblich
war, doch mit einer Ausnahme. Jn den Worten „den
schönströmeuden Skamandros" nämlich, wclche auf der
von dem Lehrer der Grammatik gehaltenen Nolle zu lesen
sind, kommt ein vor, eine Zeichen, dessen offiziclle
Einführung bekauntlich aus dem Archontate des Eukleides
(01.94,2 — 403 v. Chr.) datirt. Allerdings sindet sich dieser
Buchstabe sporadisch bereits auf Jnschriften aus der Ucber-
gangsperiode von dem älteren zum euklidischen Alphabete.
Wollte man aber, auf diesen Gesichtspunkt fußcnd, an-
 
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