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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 8.1873

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Von den Berliner Ausstellungen
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463

Von den Berliner Ansstellungen.

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Hauptrolle spielt, während die Schafe, wie es scheint, sich
durch ihre Vorfahren hinreichend empfohlen gehalten haben.

Nun noch eine Umschau unter dem Uebrigen! Mit
Trauer thue ich Louis Gallait die verdiente Ehre an,
ihn hier voranzustellen: ich möchte lieber nicht von ihm
zu reden haben. Wozu macht einem ein bedeutender
Mann den Schmerz, ihm in höherem Alter als einem
Stümper begegnen zu müssen! Es sind zwei Gruppen
von je einerMutter und zwei Kindern, die eine auch noch
durch einen menschlichen — vermuthlich todten — Arm
(der Eigenthümer desselben liegt wahrscheinlich unterhalb
des Bildes) und ein dito todtes Hundevordertheil orweitert;
die Bilder sollen den Frieden und ven Krieg vorstellen.
Wie ist es nur möglich, daß ein Gallait, der Meister des
modernen realistischen Historienbildes, so verschwommen
und ungesund empfinden, so abgeschmackt und ungeschickt
komponiren, so schwächlich und unbestimmt zeichnen und
so absolut schlecht malen kann! Der Uebel größtes ist
die Alterschwäche, die sich nicht bescheiden kann.

Mit einem interessanten Bilde, einem „Bacchanale"
zu Venedig lernen wir hier Antonio Rotta kennen, den
man den italienischen Knaus nennt. Nun, mit seiner
Farbe kann er sich dem großen deutschen Meister nicht
vergleichen, aber allerdings ist es ein Künstler von her-
vorragender Bedeutung, und ihrer hat das moderne Jta-
lien, wie es scheint, nur eine äußerst mäßige Zahl aufzu-
weisen. Sein „Bacchanal" wird von einer lustigen
Gesellschaft aus den untersten Ständen gefeiert, natürlich
— es ist ja zu Benedig! — in einer Gondel; ein kleines
Boot mit einem Musikchore begleitet den großen Wandel-
stern als Trabant. „Dout ovwmo olis? nous" ist der
erste Gedanke! Statt der Säulen des Markusplatzes
Borsig'sche Schornsteine im Hintergrunde, und die„Jon-
delfahrt" von den „Zelten" nach Moabit ist fertig. Aber
allen Respekt vor der Beobachtungsgabe und vor der
Zeichnung des Künstlers, kaum minder vor seinem freilich
etwaö Hasenclever'schen Humor. Einzelne Physiognomien
sowohl unter der Gesellschaft wie unter den Musikanten
sind höchst ergötzlich, und alle sind wahr und charakteristisch.

Köstlich wie immer ist ein Genrebild in Aquarell
von Ludwig Passini, das einen lehrreichen Gegensatz
zu dem Rotta'schen bildet: auch hier herrscht oer reinste
Realismus, aber es ist mehr Specifisches in den Erschei-
nungen trotz der sehr viel größeren Einfachheit des Ge-
genstandes, und im malerischen Eindrucke ist es jenem
unvergleichbar weit überlegen. Das Lokal scheint auch
Venedig zu sein; an einem kleinen Kanale ohne Geländer
ist einem kleinen Mädchen die Puppe in's Wasser gefallen,
worüber sie natürlich untröstlich ist. Ein Iunge holt nun
mit einem feuerzangenähnlichen Jnstrumente das verlorene
Kleinod wieder herauf, und man sieht ordentlich, wie sich
mit einem Schlage der laute Kummer der Kleinen be-
schwichtigt; die Beistehenden gehen sehr hübsch in die

Stimmung ein. Die Färbung des Bildes zeigt ein etwas
neutraleres Grau, als man es an Passini gewohnt ist,
hat aber eine feine Harmonie und nicht gewöhnliche Kraft.

Jn koloristischer Hinsicht ist die kleine Aquarelle von
Ernst Hildebrand „Jnständige Bitte", eine junge
Dame, die einem ältlichen Kavaliere, wohl ihrem Bater,
sehr dringend anliegt, recht schön, auch ist Haltung und
Stimmung sehr bezeichnend; wenn das Bildchen ein klein
wenig mehr ausgeführt und namentlich auf Lie Environs
der Figuren etwas mehr Sorgfalt verwendet wäre, so
würde es eine ganz vortreffliche Arbeit sein.

Auch eine „Westphälische Kirche" von C. Breit-
bach (in Aquarell) ist mit Anerkennnng zu erwähnen.
Sie zeigt wenigstens nicht — wie auch das gleichzeitig
ausgestellte Oelbild „Rendezvous auf der Jagd"—die
dem Künstler leider meistens eigene Unfertigkeit und
Flüchtigkeit, durch die alle seine Bilder etwas wie aus
dem Groben gehauen aussehen, und daher der guten Wir-
kung durch ihre oft nicht üblen Sujets verlustig gehen.

VonH. Leineweber in Düsseldorf*) ist „Der erste
Walzer" ausgestellt: der Großvater ffedelt, die Aeltern
und ein paar Anverwandte sehen zu, und ein ganz kleines
Pärchen schwingt zum Ergötzen Aller sein erstes Tanzbein.
Die Bewegung ist noch ein wenig unfrei; sonst ist es ein
liebenswürdiges, freundliches Bildchen.

Einen anderen „ErstenVersuch", nämlich den (ver-
muthlich unberufenen) eines kleinen hellblonden Mäd-
chens im Malen hat Emma von Schoultz dargestellt.
Jch habe bereits daraus hinweisen müssen, daß der talent-

*) Mit diesem Künstler ist mir bei meinem Kunstaus-
stellungsberichte ein eigeuthümliches Unglück passirt: ich habe
denselben — nicht ohne Bedauern — den Todten deigezählt,
wogegeu er aber zu meiner Freude in der Lage war, lebhaft
zu reklamiren. Jch bitte daher mil Vergnllgen, ihn wieder
unter die Lebendigen und munter Schaffenden zu zählen. Wie
ich zu meinem Jrrthume gekommen bin, habe ich genau nicht
mehr feststellen können. Wahrscheinlich ist er so entstanden:
Jn dem Berliner Ausstellungskataloge werden „seit Jahrtau-
senden" die verkäuflichen Kunstwerke mit einem Krenze bezeich-
net, wie es gewöhnlich als Abkürzung für „Verstorbcn" ge-
braucht wird, und wunderlich genug: auch noch in dem
letzten Berliner Kataloge hatte z. B. der Graf Krockow, wie
wenn er als Sklave ausgeboten werden sollte, sein Kreuz.
Nun bekommen sämmtliche Bilder einen weißen Zettel, der
manchmal der farbigen Wirkung derselben sehr wehe Ihur,
und der die Katalognummer und den Namen des Autors
enthält. Weiter hat sich dann die Unart eingeschlichen, da
doch nicht jedes Bild im Kataloge aufgeschlagen wird, den
Besuchern der Ausstellung die Verkäuflichkeit der Kunstwerke
durch Bleistift-Kreuze auf diesen Zetteln auf bequemere und
sicherere Weise zu insinuiren, und das ist wahrscheiulich auch
auf einem Leineweber'schen Bilde geschehen, aber so unglücklich
oder ungeschickl, datz das Kreuz in eine das Verständniß ver-
wirrende Verbindung mit dem Namen kam und io nach
Analogie mit anderen Fällen den Künstlcr als gestorben zu
bezeichnen schien.
 
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