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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 8.1873

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Meyer, Bruno: Der Berliner Gypspapst, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4815#0396

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781

Der Berliner Gypspapst.

782

1

h driana bei Tivoli gefundene Kopie der Myronischen
^ Statue, jetzt in dem Saale der Biga im Vatikan be-

- ! findlich. Dazu ist Welcker, Alte Denkmäler I-, S. 423

d flg., citirt, der diese Kopie betreffende Passus der wissen-

! schaftlichen Arbeit, durch die man am sichersten und voll-

^ ständigsten über den zu der Statue in Beziehung stehen-

den Denkmälerbcfund orientirt wird. Ob Herr Bötti-
, ! cher wohl liest, oder, wenn ja, versteht, was er citirt?

b ! Es ist erlaubt, es zu bezweifeln, hier, wie in sehr vielen

p anderen Fällen; denn hören Sie, was uumittelbar folgt:

! „706. Diskobol. Kleines Standbildchen in gleicher

! Handlung und Haltung wie Nr. 705, für die Wieder-
. holung eines anderen berühmten Erzwerkes von Myron
r gehalten, von dem man eine Marmorkopie im
! Rngsiwi ulls oolonns in Rom zu besitzen glaubt.

! Erz. — München. Antiquarium. — Ergänzt:
Der Diskos, der unterste Theil des r. Fußes vom
;I Knöchel ab. — Fr. Thiersch, Epochcn. S. 214. W.

Christ und I. Laulh, Antiquarium in Münchcn, S. 16."
c, ! Jn gleicher Handlung und Haltung und doch
u! einanderes Erzwerk von Myron? Das ist stark
ic Wie mag man das nur an einer Kopie unterscheiden,
da zumal die Originale nicht vorhanden sind? Umge-
kehrt wird ein Schuh daraus! Jn abweichcnder Hal-
tung Kopie desselben Werkes, aber besser erhalten
und genauer, gleich der Marmorfigur im Palazzo Mas-
siini. — Und für eine Wieverholuug eines anderen Werkes
wird es gehalten? Von wem? Von keinem veruünf-
tigen Menschen! Herrn Börticher war es vorbehalren,
diesc Enldeckung zu machen. Die nachher angesührten
,li Auloren würben sich wohl hülen, solche Thorheilen zu
schwatzen! Als ob die Diskoswerfer vom Schlage des
Diyronischen sich von den Bäumen schüticln ließen! Wo
>u aller Welr hat bei Altcn und dieuen Herr Bötlicher
^ don zwei Myronischen Originalen cines Diskoswerfers
^ gelesen?! — Und von dem cinen, der wirklich vorhan-
:ig! den war, glaubt man einc Marmorkopie in der Statue
B des Palazzo Massimi zu besitzen? Nun, wenn dazu
eg: Uoch Glauben gehört, dann hat Herr Bötticher am Ende
sfiecht, daß wir von der Geschichte der griechischen Plastik
!d- tuchts wissen und nichts wissen können! Herr Bötticher
kann nie irgend etwas über den Myronischen Diskos-
el Werfer gelesen habeu, sonst müßte ihm die begeisterte

c>' Uud meisterhaft geschriebene Schilderung des Lukianos,

der — in seiner Jugend selber Bildhauer — sich auf
3>j: die Kunst verstand und das Original des Myron noch

xr! ^kbst auf dcm Marktplatze — Herr Bötticher würde

bß; sagen: auf der Agora — zu Athcn sah, bekannt gewor-
^en scin, und die vollkommenc Ucbereinstimmung in ein-
^>gen Charakterzügen selbst scinein Starrsinne eingel^uchtet
k)aben. — Herr Bötticher, scheint es, geizt durch seine
e>i ^eistungen und seinen Stil nach der Ehre, den „Klotzi-
^ anisnms" wieder aufleben zu machen. Jch condolire!

Herr Bötticher hat zu allem Uebrigen auch noch
die ungehcure Dreistigkeit, auf den Erfolg diescs seincs
Kataloges mit großem Geräusch hinzuweisen; deuu gegen
Conze sagt er: „Daß nun die Besucher der Berliuer
Abgußsammlung in diesem Punkte ebcnso dcnkcn (wie
Herr Bötticher selbst nämlich), beweist die jetzige Be-
nutzung derselben seit ihrer Reorganisation: denn
ihr Besuch hat sich seit dieser Zeit um mehr als das
Doppelte gesteigert. Auch erklärt das den srüher nie
so gekannten Vertrieb ihres Katalogs, dessen I. (sio!)
Auflage innerhalb der ersten zwei Monate seines Er-
scheinens (?! „Monate des Erscheinens" ist sehr gut!)
bereits vergriffen war."

Lübke und Rosenberg haben mit Recht, aber viel
zu glimpflich hiergegen bemerklich gemacht, daß die Be-
suchssteigerung ja nicht allein der Skulpturengalerie zu-
zuschreiben ist, sondern überhaupt dem ganzen Museuin
zu Gute kommt und ausschließlich auf Rechnung des
in ungeheurem Aufschwunge begrisfenen Berliner Ver-
kehres, namentlich von Fremden, zu setzen ist. Außerdem
hat Rosenberg die Charlatanerie aufgedeckt, welche selbst
einem Winkelbuchhändler als Hülssmtttel der Rcclame
verübelt werden würde, daß Bötticher mil dem Verschleiß
einer ersten Auflage prunkt, die aus 250 — sage zweihun-
derlundfünfzig!! — Exemplaren bestanden hat. Es ist bies
Alles noch viel zu schonend und schüchtcrn, uud der eigent-
liche Grund, weswegen der Katalog sehr stark gekauft
wird, liegt ganz wo anvers, und zwar erstlich darin,
daß der frühere Katalog sowohl in seiner Anorvnung
wie in seinem Jnhalte so absolut unbrauchbar war, daß
Äeber, der überhaupt eines Kataloges bedurfte, sofort
nach jedem neubearbeiteten greifen mußte. Der große
Erfolg des neuen Kataloges giebt also einerseits Herrn
Bötticher einen handgreiflichen Beleg für die Untauglich-
keit dessen, was er früher geleistet hat.

Es kommt aber noch etwas Anderes hinzu, und ich
will um Alles in der Welt nicht wünschen, daß es sich
etwa herausstellte, daß Herr Bötticher persönlich durch
den Verkauf seincs Kataloges, sei cs auch auf Umwegcn,
irgend einen wesentlichen pekuniären Vortheil hätte.
Sonst möchte ich seine Vertheidigung gegen ganz natür-
lich entstehende Vorwürfe und Verdächtigungen nicht zu
führen haben. Er hat nämlich das Publikirm zum Kau-
fen des Kataloges durch eine der liebenswürdigsten Ein-
richtungen, welche sich mit seinen gastfreundlichcn Einla-
dungen zum Verlassen des Lokales an den Wänden zu
einem netten Paare vereinigt, gezwungen.

Wir gewöhnliche Sterbliche, die wir nicht die Ab-
gründe der Wcisheit erschöpft zu haben glauben, wenn
wir mit LLtoi und ILoxiioros und anderen halbver-
dauten Brocken um uns werfen, sondern der plebejischen
Meinung huldigen, daß Kunstanstalten dazu da siud,
das Publikum so viel chie möglich zum Geschmack unh
 
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