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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 18.1883

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Die Progamme und die Entwürfe für das Parlamentsgebäude in Berlin, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5806#0120

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Die Programme und die Entwürfe für das Parlamentsgebäude in Berlim

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stedt, der Verfaster des 1872 prämiirtcn Entwurfes,
welcher sich nicht tediglich darauf beschränlte, die Forde-
rungen des Programmes beziiglich der Planeinteilung
zu lösen, sondern sich noch bestrebte, dieselben der monu-
mentalen Plangestaltung (also der vom Verfasser selbst
hinzugedachten, ästhetischen Programmergänzung) an-
zupassen, hat damit seinen durchschlagenden Erfolg er-
rungen. Es ward ihm niöglich, sein Projekt von aller
Scheinarchitektur frei zu halten und dem Entwurf durch
natürliche, logische Einfachheit in der Gestaltung einen
ernsten, dauernden künstlerischen Wert zu verleihen.

Viele Jahre verstrichen mit Versuchen, für das
Parlamentsgebände einen passenden Platz zu finden;
schließlich erwarb man das ursprünglich bestimmte
Terrain, jedoch nicht mehr in seinen vollen 1872 in
Aussicht genommenen Grenzen, sondern in einer Reduk-
tion auf zwei Drittel des alten Flächenmaßes, und
schrieb eine neue Konkurrenz aus.

Durch die Verringerung namentlich des Bau-
terrains um 20 Meter ist dem neuen Entwurfe em-
pfindlich geschadet worden. Das neue Programm
von 1882 fällt gleich dadurch auf, daß es die Ein-
haltung strenger, fast kleinlich präzisirter Schranken für
die Räumlichkeiten des Parlamentsgebäudes fordcrt und
deren eine Menge aufzählt. Nur fllr einen einzigen
Naum, die Halle, oder das Foyer der Abgeordueten,
wird hier eine reichere Ausstattung zur Bedingung ge-
macht, so daß es den Anschein gewinnt, als beabsichtige
man nichts weiter, als den Bau eines lediglich den
augenblicklichen Bedürfnissen genllgenden Geschäfts-
hauses. Die hierauf bezüglichcn Vorschriften, welche
dahin zielen, die künstlerische Verwertung der West-
front (Front znm Königsplatz) mit Prachteingang -c.
zur Unmöglichkeit zu machen, sind mit großer Ge-
nugthuung (Deutsche Bauzeitung v. 12. Febr. 1882,
Nr. 12) begrüßt worden.

Diese Einschränkung hat aber den neuen, nament-
lich den aus Berlin stammenden, Entwürfen Eintrag
gethan, und hat fast sämtlichen neuen Projekten ge-
schadet; sie hat wenigstens allcn, welche sonst zu cinem
freien Schwung sich hätten gestalten können, den Zwang
auserlegt, durch Anwendung von Scheinarchitektur einen
sogenannteu Monumentalcharakter anzustreben. Dieses
so sehr iu Details sich ergehende Programm von 1882
dürfte verfehlt zu nennen sein, weil es auf sogenannte
praktische Nebendinge Gewicht legt, welche erst seit
kurzer Zeit sich als erwünscht gezeigt haben, und weil
es dabei übersieht, daß im Laufe vielleicht nur weniger
Jahre diese Forderungen (wie während des verflossenen
Jahrzehnts) sich ändern könnten. Was diesen tem-
porären Ansprüchen gemäß hergestellt wird, kann nur
teilweise Bestand und dauernden Wert behalten. Für
eine große öffentliche monumentale Aufgabe dürfen nur

die Hauptzüge angegeben und darf der verfügbare
Flächenraum des Bauterrains nicht möglichst knapp be-
messen werden. Jn beiden Beziehungen hat das Pro-
gramm von 1882 es versehen.

Um auf dem jetzt sehr beschränkten Terrain den
gestellten Programmsorderungen einigermaßen nach-
kommen zu können, haben sehr viele der besseren neuen
Entwürfe sich veranlaßt gesehen, drei Stockwerke in
Anspruch zu nehmen und eine Menge Treppen anzu-
bringen, ohne welche eine kurze Verbindung der Räume
kaum möglich ist. Der nun von der Prüfungskommission
zur weiteren Aus- und Umarbeitung für die künftige
Ausführung designirte Entwurf von P. Wallot hat
zum Ausgangspunkt seiner Plangestaltung die Halle
oder das Foyer der Abgeordneten. Zu diesem Foyer
leiten von Süden und ebenso von Norden her die Haupt-
vestibüle (Parterre) nebst ihren Haupttreppen. Jm
Hauptgeschosse führen zwischen den Treppenarmen breite
Gänge zurück, der eine nach Süden zum Tageslittera-
turlesesaal, resp. zum Korridor mit ihm anliegenden
Geschäftssälen, der andere nach Norden zu der großen
Bibliothek. An der Westseite liegt ein gleichwertiges
drittes Vestibül für die Reichstagsmitglieder mit einer
bogenförmigen Treppe in eiuem Lichthof, die unmittel-
bar in das Foyer ausmündet. Bom Foyer aus führen
Korridore, dieses Treppenhaus umschließend, zurück nach
Westen (gegen den Königsplatz), woselbst der Restau-
rationssaal niit seinen Nebenzimmern untergebracht ist.
Bom Foyer gelangt man östlich in den Reichstags-
sitzungssaal, hinter welchem längs der Ostfront die
Zimmer für den Präsidenten, die Schriftführer, den
Neichskanzler und die Chefs der Reichsämter gelegen
sind. An der Nordostecke hat der Büreaudirektor nebst
seiner Kanzlei, an der Südostecke der Bundesrat die
verlangten Räumlichkeiten erhalten.

Einstweilen sind die Garderoben der Abgeordneten
zu beiden Seiten des Sitzungssaales neben den Hof-
korridoren untergebracht. Außer den beiden, gegen den
Königsplatz gerichteten Fraktionssitzungssälen(L300 gm)
befindet sich nur noch ein Kommissionsfitzungssaal im
Hauptgeschosse, alle übrigen liegen im unteren Stockwerk.

Es fragt sich, ob bei dieser Raumverteilung nicht
mancherlei Bedenken auftauchen. Zuvörderst dürfte
die vom Königsplatz her aufsteigende Treppe im Haupt-
geschoß mindestens ein breites Podest oder einen oberen
Vorplatz zu erhalten haben, statt, wie gegenwärtig,
unmittelbar in das Foyer auszumünden; sie würde
dadurch auch eine geeignete Verbindung mit den seit-
lichen, anliegenden Korridoren erhalten, welche zur
Restauration führen. Die Garderoben sind weder zu
den Treppeu noch zum Foyer geeignet gelegen. —
Es ist sehr fraglich, ob die Bibliothek namentlich im
Hauptgeschosse praktisch liegt. Es dürfte gewiß hin-
 
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