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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 18.1883

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340

Kunstlitteratur

350

welche der in Carstens' Bahnen sich bewegenden klassi-
cistischen Kunstrichtung am Anfang unseres Jahr-
hnnderts und im besonderen den Bestrebungen Goethe's
und der Weimarischen Kunstfreunde zur Förderung und
Belebung der Kunst ein lebhafteres Jnteresse entgegeu-
bringen.

Es soll hier jener Kunstrichtung, Vvn der die
Komposition des Kasseler Akademiedirektors Johann
August Nahl (1752—1825) ein ungemein charakteri-
stisches Spezimen abgiebt, zwar nicht das Wort ge-
redet werdcn; denn die antitisirende Tendenz mußte bei
alleu, die nicht gleich Carstens die ganze empfindungs-
volle Jnnerlichkeit der ureigensten genialen Natur iu
dieselbe hineinzulegen vermochten, notwendigerweise auf
eine gewisse kiihle akademische Manier hinauslaufen,
der wir gegenwärtig keinen Geschmack mehr abzuge-
winnen vermögcn. Der Gesichtspunkt, unter dem die
Nahlsche Komposition für uns intcressant, und ihre
neuerdings erfolgte Vervielfältigung erfreulich erscheint,
ist der, daß sic uns in ihrcr Eigcnschaft als gekröntes
Preisstück der Weimarischcn Kunstausstellungen eincn
übcrans klaren Einblick in den künstlerischen Stand-
punkt nnd die Geschmacksrichtung Goethe's und Schillers
gelvährt und in ihrem innigen Zusaminenhang mit
der Litteratur die charakteristische Eigentünilichkeit jener
Kunstepoche treffend versinnbildlicht.

Goethe hatte sich nach der Rückkehr aus Jtalien,
besonders unter dem Einfluß Heinrich Meyers, bekannt-
tich inimer mehr der absoluten Wertschätzung der An-
tike, dem „Altheiduischgesinntscin", wie er selbst es
nennt, hingcgebcn. Die Bestrebungen der Weimarischcn
Kunstfreunde, unter deren bekannter Chiffre L.k?."
zunächst und hauptsächlich Goethe und Meper zu ver-
stehen sind, gingen vorzugöweise darauf hinaus, das-
jenige, was Winckelmanu theoretisch gewollt hatte,
praktisch durchzuführen und die klassische Kunstrichtung
in Deutschland mit allen Kräften und dcm ganzen Ge-
wicht des eigenen Ansehcns zu fördern und zu erhalten.

Jn dieser Absicht wurdcn die Preisansschreiben
unternommen, von denen das erste 1799, das letzte
1805 stattfand. Dcm Prcisausschreiben auf das Jahr
1800 verdankt die in Rede stehende Nahlsche Zeich-
nung ihr Entstehen,

Die Vvn Goethe im dritten Bande der „Prvpy-
läen" (S. 167 ff.) für jenes Jahr gestellte Aufgabe
lautete auf eine Darstellung des Abschieds Hektvrs von
Andromache nach Jlias VI, 395 ff., vder auf die Er-
mordung des Rhesus nach Jlias X, 377 ff. „Der erste
Gegenstand", fchreibt Goethe, „fordert zartes Gefühl
und Jnnigkeit dcs Gemüts; der Künstler muß aus dem
Herzen arbeiten, wenn er ihn gut behandeln, zum
Herzen dringen und Beifall verdienen will". Die
Wahl blieb den Kllnstlcrn sreigestellt, als Preis waren

30 Dukaten ausgesetzt. Bis zu dem festgesetzten Ter-
min (25. August 1800) gingen im ganzeu 28 Kom-
posilionen bei Gvethe ein, 19 derselben hatten den Ab-
schied Hektors zum Gegenstande, 9 die Ermordung des
Rhesus. Nahl erhielt dtm ersten Preis mit 20 Dukaten,
während der zwcite mit 10 Dukatcn Joseph Hvffmann
in Köln (1764—1812) zuerkannt wnrdc, der die andcre
Aufgabe gewählt hatte. Die „Proppläcn" brachten, wie
Ublich, nachdem eine kurze vorläufige Nachricht über
das Resultat dcr Konkurrenz in der „Jenaischen Litte-
ratnr-Zeitung" und in der „Augsburger Allgemeinen
Zeilung" vorausgegangen war, eine ausführlichc Recen-
sion der sämtlichen Arbciten, gemeinsam von Goethe
und Meper verfaßt. (Prop. III., Bd. 2. Stück, S. 97 ff.)
Jn dieser Recension wird die Nahlsche Komposition,
„eine große mit Sepia getuschte Zeichnung", unter
Nr. 26 eingehend gewürdigt. „Sie ist nicht nur",
heißt es, „verglichen mit den eingegangenen Konkurrenz-
stücken, svndern auch, unabhängig Vvn diesen, ganz für
sich selbst betrachtet, ein treffliches, dem Zeitalter Ehre
bringendes Kunstwerk. Nichts was bedeuten, was
rühren, was den Gegenstand heben, zur Auschauung
briugen konntc, hat der Künstler unbenutzt gelassen".
Die programmmäßig beabsichtigte Vcrvffentlichung eines
in Kupser gestochenen Umrisses der Preisstücke konnte,
wie Goethe anzeigt, diesmal nicht zur Ausführung ge-
langen, da sich neben Bedcnken gegenüber der fignren-
rcichen Hoffmannschen Komposition, „durch einen Umriß
Hcrrn Nahls Verdienst wohl im allgemeinen, was die
Zusammensetzung betrifft, aber nicht im einzelnen,
wodurch sie sich in Form, Charakter, Reinheit und
Gcschmack der Ausführung auszeichnet, darstellen ließe".

Die Nahlsche Zeichnung hat sich aber noch eines
anderen anerkennenden Zeugnisses zu rühmen, nämlich
dcs Schreibens Schillers „An dcn Herausgeber der
Proppläeu". (Prvp. III. S. 148 ff., auch in SchillerS
Wcrke unter die „Kleinen Schriften vermischten Jn-
halts" übergegangen.) Zu diesem Schreiben hatte sich
Schiller nach seineni Brief an Gvethe vom 1. Oktober
1800 (Briefwechsel, 4. Aufl. Bd. II, S. 259) wesent-
lich „zur Ergießung seiner Empfindungen übcr Nahls
Zeichnung" bestimmt gcfiihlt. Wir lassen hier die be-
treffende Stelle bcsonders aus dem Grunde ungekürzt
fvlgen, weil sie eine überaus anschauliche Beschrcibung
der Komposition cnthält, die wir nicht durch eiue eigene
zu ersetzen wagtcn.

„Wcnn man aber alle der Reihe uach durchlaufen
hat", schrcibt Schiller, scine Besprechung der Ubrigcn
Entwürfe abschließend, „so wird man zuletzt mit
erhöhter Zufriedenhcit zu (Nr. 26) der braunen
Zeichnung, wie sie das Publikum nannte, ehe man
den Namen des Künstlers, Herrn Nahls erfuhr, zurück-
kehren, welche auch den crsten Blick angezogen hat."
 
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