607
Kunstlitteratur.
608
Wetter später dem frühgotischen Fanatismus zum Opfer
gefallen sind.
Mehr gelcgentlich cntschlnpfen ihm freilich anch
vcrschiedene Fragmente aus dem Sündenregisicr dieser
Restauration. Er giebt zu verstehen, daß die Denk-
mäler nachmittelalterlicher Zeit „grausam decimirt
wurden"; daß die in vieler Beziehung lehrreichen Grab-
platten des 16. und 17. Jahrhunderts zerschlagen und
zn Fußbodenplatten verwandt wurden; daß die Wand-
malcreien sasl alle Lberschmiert und also so gut wie
vernichtet wurden; daß die mit silbernen Bnchstaben
geschricbene Pergamenttafel im Chor, die cinzige Quelle
für die Geschichte des Baues, verschwand, ebenso die
Schtverter Wilhelms I. nnd Ludwigs II., daß die Blei-
platten des Sarges der Margaretha von Mansfeld,
als Renaissancearbeit ohnc Wert, eingeschmolzen wurden.
Neuschöpfungen, wie die statt der üblichen hölzernen
Dorsalien aufgesührten plumpen Mauern der Vierung,
mit ihren pfuscherhaft gearbeiteten spitzbogigen Öff-
nnngen, dürftcn nicht zur Verschönernng der Kirche
bcitragen, von der Bemalung, welche die Kirche Vvr-
läufig kvloristisch ungenießbar macht, zn schweigen.
Diesen Verdicnsten unserer erleuchteten Zeit gegen-
über hat es uns etwas frappirt, wenn der Verfasser,
der svnst auch das Oäi xrolanurn vnlgus sich anzu-
eignen scheint, die Zeit bis 1847 als eine „verhängnis-
volle Periode der Vernachlässigung"chezeichnet. Der „alte
Schlendrian" hatte, wie wir aus seiner Schrift lernen,
jedensalls alles das erhalten, was dem intelligenten
Aufschwung unter den Fingern abhanden kam. Der
unbekannte alte Baumeister, wenn er es hätte aus dem
Fegefeuer mit ansehen können, würde gewiß Ursache
gehabt haben zu rufen: „Gott bewahre mich vor
meinen Freunden!" JnjeneZeit der „Bernachlässigung"
fällt z. B. die erste große Publikation unserer Kirche
von Georg Moller, auf deren Verdrängnng durch
Besseres wir noch warten. Ferner ist in Hessen be-
kannt, daß ein Marburger Kirchenbeamter fast fünfzig
Jahre lang in zahlreichen Abhandlungen und Publi-
kationen, in der Weise seiner Zeit, den Sinn und die
Pietät sür dicses Denkmal mit Erfolg zu wecken be-
müht gewesen ist. Seine Verdienste, die auch bei dieser
Gelegenheit von seinen protestantischen Landsleuten
dankbarst totgeschwiegen worden sind, blieb dem für
weitere Kreise schreibenden katholischen und französischen
Grafen Montalembert unbefangen zu würdigen über-
lassen.
Zu wünschen wäre, das; nicht bloß die kunst-
gewerblichen Denkmäler, sondern auch die Arbeiten der
hohen Kunst, nämlich der Sknlptur und die Reste alter
Malerei, herausgegeben würden, da die letzteren einer
raschen Zerstörung entgegengehen. Sie repräsentiren
uns wahrscheinlich eine hessische Schule, deren sonstige
Erzeugnisse der Bildersturm gründlich weggefegt hat.
Der Künstler der kostbaren Schnitzaltäre, von denen
Förster einen publizirt hat, war vielleicht jener Ludwig
Jupe, dessen Namen W. Bücking im Stadtarchiv ent-
deckt hat. Von einer solchen landschaftlichen Schule
kann bekanntlich bei der älteren und glänzenderen Periode
des Baues nicht die Rede sein, dessew Stil auf Nord-
frankreich hinweist. C. Zusti.
Restauration und Vandalismus. Ein populäres Wort
zu Gunsten der Erhaltung alter Kunstdenkmäler rc. rc.
von Heinrich Deiters. Düsseldorf, A. Bagel. 8.
Svllte man es für möglich halten? Während die
Wissenschaft endlich der Renaissance das kunsthistvrische
Bürgerrecht erkämpft hat, während selbst die Phan-
tastereien des Barocco und die zierlichen Spiele des
Rococo auf ihr Stilgesetz ergründet und in ihrer Eigen-
art anerkannt worden sind, müssen wir es in der
Wirklichkeit jeden Tag noch erleben, daß cin nnver-
ständiger Purismus unter dem Vorwand einer doch
absolut unmöglichen Stileinheit prächtige Werke jener
späteren Epochen, Altäre, Epitaphien, Kanzeln, Tauf-
brunnen u. dergl., aus den Kirchen herauswirft nnd
dem Untergange preisgiebt, um an ihre Stelle die ab-
geschmackten Ausgeburten einer mißverstandenen Gotik
zu setzen. Wohin man sich wendet in Deutschland,
überall regt sich ein in der Gesinnung sehr braver,
aber in der Praxis geradezu entsetzlicher Dämon der
Restauration, der nichts Eiligeres zu thun weiß, als
jene oft sehr wertvollen, immer aber als Denkmale
der Geschichte und Kultur bemerkenswerten späteren
Monumente zu beseitigen, um moderne Altäre, Kanzeln
u. dergl. in der abscheulichsten „Tischlergotik" (so nennt
sie mit Recht der Verfasier vorliegender Schrift) hin-
zustellen und sie mit den süßlichen, charakterlosen, bunt-
bemalten und vergoldeten Figuren zu schmücken, in
welchen sich ein Zerrbild christlicher Empfindung zu
erkennen giebt. Dazu kommt, um das Übel vollständig
zu machen, die neuerdings grassirende Sucht, die
Kirchen farbig auszumalen, eine Manie, die nur in
sehr seltenen Fällen zu ersreulichen Resnltaten geführt
hat, meistens dagegen durch plumpe und bunte Über-
treibung fast barbarisch wirkt. Diese Tendenzen walten
hauptsächlich in der katholischen Kirche, und es spricht
sich in der aufwandreichen Art, mit welcher dieselben
verwirklicht werden, der fast fanatische Aufschwung
aus, welchen die katholische Kirche neuerdings bei uns
in Deutschland in Scene gesetzt hat. Auf künstlerischem
Gebiete ist dieser Umschwung von den Herren Reichen-
sperger und Genosien inaugurirt worden, und ihren
Lehren hauptsächlich ist es zuzuschreiben, daß in dieser
tnmultuarischen Weise mit den Monumenten der
Renaissance umgesprungen wird. Wie harmlos er-
Kunstlitteratur.
608
Wetter später dem frühgotischen Fanatismus zum Opfer
gefallen sind.
Mehr gelcgentlich cntschlnpfen ihm freilich anch
vcrschiedene Fragmente aus dem Sündenregisicr dieser
Restauration. Er giebt zu verstehen, daß die Denk-
mäler nachmittelalterlicher Zeit „grausam decimirt
wurden"; daß die in vieler Beziehung lehrreichen Grab-
platten des 16. und 17. Jahrhunderts zerschlagen und
zn Fußbodenplatten verwandt wurden; daß die Wand-
malcreien sasl alle Lberschmiert und also so gut wie
vernichtet wurden; daß die mit silbernen Bnchstaben
geschricbene Pergamenttafel im Chor, die cinzige Quelle
für die Geschichte des Baues, verschwand, ebenso die
Schtverter Wilhelms I. nnd Ludwigs II., daß die Blei-
platten des Sarges der Margaretha von Mansfeld,
als Renaissancearbeit ohnc Wert, eingeschmolzen wurden.
Neuschöpfungen, wie die statt der üblichen hölzernen
Dorsalien aufgesührten plumpen Mauern der Vierung,
mit ihren pfuscherhaft gearbeiteten spitzbogigen Öff-
nnngen, dürftcn nicht zur Verschönernng der Kirche
bcitragen, von der Bemalung, welche die Kirche Vvr-
läufig kvloristisch ungenießbar macht, zn schweigen.
Diesen Verdicnsten unserer erleuchteten Zeit gegen-
über hat es uns etwas frappirt, wenn der Verfasser,
der svnst auch das Oäi xrolanurn vnlgus sich anzu-
eignen scheint, die Zeit bis 1847 als eine „verhängnis-
volle Periode der Vernachlässigung"chezeichnet. Der „alte
Schlendrian" hatte, wie wir aus seiner Schrift lernen,
jedensalls alles das erhalten, was dem intelligenten
Aufschwung unter den Fingern abhanden kam. Der
unbekannte alte Baumeister, wenn er es hätte aus dem
Fegefeuer mit ansehen können, würde gewiß Ursache
gehabt haben zu rufen: „Gott bewahre mich vor
meinen Freunden!" JnjeneZeit der „Bernachlässigung"
fällt z. B. die erste große Publikation unserer Kirche
von Georg Moller, auf deren Verdrängnng durch
Besseres wir noch warten. Ferner ist in Hessen be-
kannt, daß ein Marburger Kirchenbeamter fast fünfzig
Jahre lang in zahlreichen Abhandlungen und Publi-
kationen, in der Weise seiner Zeit, den Sinn und die
Pietät sür dicses Denkmal mit Erfolg zu wecken be-
müht gewesen ist. Seine Verdienste, die auch bei dieser
Gelegenheit von seinen protestantischen Landsleuten
dankbarst totgeschwiegen worden sind, blieb dem für
weitere Kreise schreibenden katholischen und französischen
Grafen Montalembert unbefangen zu würdigen über-
lassen.
Zu wünschen wäre, das; nicht bloß die kunst-
gewerblichen Denkmäler, sondern auch die Arbeiten der
hohen Kunst, nämlich der Sknlptur und die Reste alter
Malerei, herausgegeben würden, da die letzteren einer
raschen Zerstörung entgegengehen. Sie repräsentiren
uns wahrscheinlich eine hessische Schule, deren sonstige
Erzeugnisse der Bildersturm gründlich weggefegt hat.
Der Künstler der kostbaren Schnitzaltäre, von denen
Förster einen publizirt hat, war vielleicht jener Ludwig
Jupe, dessen Namen W. Bücking im Stadtarchiv ent-
deckt hat. Von einer solchen landschaftlichen Schule
kann bekanntlich bei der älteren und glänzenderen Periode
des Baues nicht die Rede sein, dessew Stil auf Nord-
frankreich hinweist. C. Zusti.
Restauration und Vandalismus. Ein populäres Wort
zu Gunsten der Erhaltung alter Kunstdenkmäler rc. rc.
von Heinrich Deiters. Düsseldorf, A. Bagel. 8.
Svllte man es für möglich halten? Während die
Wissenschaft endlich der Renaissance das kunsthistvrische
Bürgerrecht erkämpft hat, während selbst die Phan-
tastereien des Barocco und die zierlichen Spiele des
Rococo auf ihr Stilgesetz ergründet und in ihrer Eigen-
art anerkannt worden sind, müssen wir es in der
Wirklichkeit jeden Tag noch erleben, daß cin nnver-
ständiger Purismus unter dem Vorwand einer doch
absolut unmöglichen Stileinheit prächtige Werke jener
späteren Epochen, Altäre, Epitaphien, Kanzeln, Tauf-
brunnen u. dergl., aus den Kirchen herauswirft nnd
dem Untergange preisgiebt, um an ihre Stelle die ab-
geschmackten Ausgeburten einer mißverstandenen Gotik
zu setzen. Wohin man sich wendet in Deutschland,
überall regt sich ein in der Gesinnung sehr braver,
aber in der Praxis geradezu entsetzlicher Dämon der
Restauration, der nichts Eiligeres zu thun weiß, als
jene oft sehr wertvollen, immer aber als Denkmale
der Geschichte und Kultur bemerkenswerten späteren
Monumente zu beseitigen, um moderne Altäre, Kanzeln
u. dergl. in der abscheulichsten „Tischlergotik" (so nennt
sie mit Recht der Verfasier vorliegender Schrift) hin-
zustellen und sie mit den süßlichen, charakterlosen, bunt-
bemalten und vergoldeten Figuren zu schmücken, in
welchen sich ein Zerrbild christlicher Empfindung zu
erkennen giebt. Dazu kommt, um das Übel vollständig
zu machen, die neuerdings grassirende Sucht, die
Kirchen farbig auszumalen, eine Manie, die nur in
sehr seltenen Fällen zu ersreulichen Resnltaten geführt
hat, meistens dagegen durch plumpe und bunte Über-
treibung fast barbarisch wirkt. Diese Tendenzen walten
hauptsächlich in der katholischen Kirche, und es spricht
sich in der aufwandreichen Art, mit welcher dieselben
verwirklicht werden, der fast fanatische Aufschwung
aus, welchen die katholische Kirche neuerdings bei uns
in Deutschland in Scene gesetzt hat. Auf künstlerischem
Gebiete ist dieser Umschwung von den Herren Reichen-
sperger und Genosien inaugurirt worden, und ihren
Lehren hauptsächlich ist es zuzuschreiben, daß in dieser
tnmultuarischen Weise mit den Monumenten der
Renaissance umgesprungen wird. Wie harmlos er-