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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

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Koch, Carl: Die deutsche Malerei von 1650-1800 auf der Ausstellung im Darmstädter Schloss
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https://doi.org/10.11588/diglit.6190#0037

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Die deutsche Malerei von 1650—1800 auf der Ausstellung im Darmstädter Schloß

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Eine erleichterte, energieentbundene Stimmung, bei
den fürstlichen Porträts zu Prunk und selbstgenieße-
rischer Entrücktheit gesteigert, charakterisiert die neue
Art. Die Delikatesse der Farben übt eine nie ge-
kannte Herrschaft. Pesne (1683—1751), aus Frank-
reich nach Berlin berufen, treibt bei den höfischen
Porträts die schmeichlerische Fiktion bis an den Rand
der Verkünstelung. In den bürgerlichen Bildnissen
wird er zum halben Deutschen, was hier besonders
gut das Porträt eines Miniaturmalers bezeugt. Ihm
schließen sich Nachfolger in Berlin an, unter denen
die Anna Rosina Lisiewska und die bedeutendere
Anna Dorothea Lisiewska (1722—82) genannt seien.
Der aus Schweden eingewanderte Marees (1697—1776)
scheint in München heimisch geworden. Er ist durch
das große Porträt von 1755, das Max III mit seinem
Intendanten vorstellt, prächtig vertreten. Die raffinierte
Pinseltechnik, die kapriziöse Formen- und Licht-
behandlung paaren sich bei diesem Künstler doch
mit urwüchsigen Instinkten. Als frühestes Bild sei
auch der Kopf des alten Beich genannt.

Schon einer neuen Generation begegnen wir in
Norddeutschland bei Ziesenis (1719—71), der erst
neuerdings beachtet, doch auch schon überschätzt
wird. Hier ist er mit über 30 Werken vertreten.
Das imponierende Bildnis des Grafen Wilhelm zu
Schaumburg-Lippe, zu dem das seiner Gemahlin das
Gegenstück bildet, erscheint darunter als sein Meister-
stück. Feste Zeichnung und ruhig leuchtende Farbe
verbinden sich mit sieghafter Klarheit der Form.
Spätere Werke, manieriert in der prall aufgeblasenen
schwärzlichen Modellierung, zeigen leider die künst-
lerische Verarmung des Malers.

Die stärkste Persönlichkeit unter den Porträtisten
des 18. Jahrhunderts stellt Anton Graff (1736—1813)
dar. Im Vollbesitz aller Mittel steht er innerhalb des
von neuer geistiger Würde erfüllten Deutschland. Ein
unvergeßliches Bild zeigt hier den Prinzen Karl von
Sachsen mit Gemahlin und Tochter. Jenes Maß von
Kraft, jener Grad von Wärme und Naturwüchsigkeit,
den es auszudrücken weiß, sind echt deutsche Werte,
und dem künstlerischen Rang nach gehört es neben
die ersten Werke des Auslandes. Das edle Halb-
figurenbild des Kramermeisters Kunze und der re-
präsentative Feldherr Fürst Reuß sind ebenfalls Meister-
stücke der Ausstellung.

Der malerisch und psychologisch eigene Münchner
Edlinger (1741—1822) und der genialische Schweizer
Fueßli (1742—1825) seien nur kurz erwähnt. Die
in den vierziger, fünfziger Jahren geborene Maler-
generation findet man durch verschiedene tüchtige
Begabungen vertreten. Friedrich August Tischbein
(1750—1812), dem mehr als ein Saal eingeräumt
wurde, ist unter ihnen neben Füger der bedeutendste
Künstler. Er als letzter rein dem 18. Jahrhundert
angehörend, erscheint als ein Maler von großem,
ruhigem Stil. Die flüssig klare, sehr lichte Malerei,
in der die Tiefen verlöscht sind, umkleidet seine
Menschen mit einem schwärmerischen Schimmer. Doch
geht in seinen besten Bildnissen eine schlichte Festig-
keit nicht verloren. Hier lebt die letzte Natürlichkeit

des Jahrhunderts. Durch die edel gebundenen Gesten
und den Takt des Vortrages sind diese Bilder zu-
gleich ein Ausdruck schönen Menschentums im Sinne
der Klassik. Es sei noch auf den alten Johann Hein-
rich Tischbein hingewiesen, der, in großen Aufgaben
sich nicht über eine lokale Bedeutung erhebend, seine
Tüchtigkeit hier nur in dem Familieninterieur von
1774 offenbart.

Der Schwabe Füger (1751—1818), das Haupt der
auch durch weitere Namen vertretenen Wiener Schule,
entgeht, reicher begabt und stärker an Entwicklung
als Fr. August Tischbein, doch schließlich nicht der
Virtuosität. Wenn er aber auch eine Zeitlang, wie
es das »Bildnis einer vornehmen Dame« zeigt, klassi-
zistischen Tendenzen huldigt, im koloristischen und
malerischen Können bleibt er sicherer Meister.

Der jüngere Bruder Wilhelm Tischbein (1751 —
1829), von dem kein namhaftes Porträt zu sehen ist,
erscheint in den mythologischen Darstellungen trotz
seiner kräftigen Natur ganz im Banne einer falsch
verstandenen Antike. Sonst wird von den aka-
demischem Boden entprossenen, gegen das Rokoko
gerichteten Kompositionsbestrebungen der zweiten
Hälfte des Jahrhunderts, gewiß mit Absicht, so gut
wie nichts gezeigt.

So sehr sich Deutschland in der Pflege des Land-
schaftsbildes hervortat, war es bezeichnenderweise nicht
der Boden für Darstellungen, welche die zeitgenössische
Existenz feiern. Das kokette Genre der Watteauschule
wurde in Sachsen durch Dietrich (1712—74) auf-
genommen. Doch diese steife, nüchterne Manier er-
scheint nur wie eine Karikatur auf die geistreichen
Vorbilder. Auch bei der trockenen Art des Pragers
Grund (1714—1767) darf man nicht an wahre male-
rische Pikanterie denken. Der Frankfurt-Darmstädter
Kreis pflegte ein naturschwärmerisches bürgerlich-
bäurisches Genre. Hier verdient nur Seekatz (1719—68)
genannt zu werden, eine in ihren Grenzen reizende Be-
gabung. Mit seiner über die Formen hinhuschenden
Art und den zart verschwimmenden Tönen steht er
noch ganz im Rokoko. In der drolligen Welt dieser
Bilder treiben die Menschen ein harmloses Kinder-
wesen. An die entzückenden Phantasien des gleich-
altrigen Augsburger Stechers Nilson erinnern einige
Handzeichnungen. Eine isolierte Erscheinung war der
an Pariser Kultur genährte Kölner Peters (1725—95).
Das Bild einer Musikgesellschaft gibt, doch ohne ganz
von seiner Originalität zu überzeugen, die erstaun-
liche Probe einer edel und groß erfaßten Gesellschafts-
szene. In Chodowiecki (1729—1801) endlich, der
ja nur nebenbei unter die Maler rechnete, begegnet
man einem positiven, tief realistischen Geist, einem
ganz selbständigen Phänomen im damaligen Deutsch-
land. Von ihm sind zwei meisterhafte Gesellschafts-
bildchen von 1757 zu sehen, die seine eigenste Art
zeigen.

Hätte die deutsche Vergangenheit, die diese Ge-
mäldeschau ausbreitete, im 19. Jahrhundert noch im
Bewußtsein der öffentlichen Meinung gelebt, das
Ringen der Maler wäre sicher von anderem Ver-
ständnis getragen worden.
 
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