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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

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Clemen, Paul: Die Baudenkmäler im östlichen Belgien
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https://doi.org/10.11588/diglit.6190#0068

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U7

Die Baudenkmäler im östlichen Belgien

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von getäuschten und von bewußten Fälschern gegen
uns erhoben worden sind, hat Deutschland die beste
und würdigste Antwort gegeben durch die schlichte
aktenmäßige Feststellung, daß es gerade deutsche
Offiziere waren, die in den von uns besetzten
Städten mit Gefahr des eigenen Lebens die un-
schätzbaren Zeugnisse der Kunst und der Ge-
schichte retteten, deutsche Generäle, die vor den
von uns belagerten Städten sich um die Schonung
der bedrohten Baudenkmäler sorgten. Die sofortige
Einrichtung einer eigenen Organisation für den Denk-
mälerschutz in Belgien hat dank dem weiten Blick
der dortigen deutschen Militär- und Zivilbehörde der
Welt den Beweis geliefert, daß auch für vorüber-
gehenden Besitz solch kostbares Kunsterbe in keiner
Hand sicherer aufgehoben ist als in der der Deutschen.

Nur von den Denkmälern selbst, um die es sich
hier handelt, möchte ich einiges sagen — zunächst
aus dem Teil Belgiens, der bis zum Anfang Oktober
allein von unseren Truppen besetzt ist, der Osthälfte,
dem Lande bis zu der Linie, die von Antwerpen und
Mecheln über Brüssel hin südwärts bis Möns führt.
Das Gebiet umfaßt sechs der belgischen Provinzen,
Limburg, Lüttich, Namur, Luxemburg, das halbe
Brabant und den halben Hennegau. Die großen
Denkmäler, die der Hauptmasse der Reisenden, auch
den wandernden Architekten bekannt sind, liegen fast
alle an der Grenze oder jenseits dieser Grenze —
Brüssel und Antwerpen, Gent und Brügge, Ypern
und Tournai. Lüttich ist vielen erst durch seine
Weltausstellung vor neun Jahren nähergerückt, und
Löwen — wie viele von denen, die jetzt darüber ge-
schrieben, haben es wirklich gesehen? Aber wie
gering ist oft auch die Kenntnis der Gelehrten, so-
bald die große Straße verlassen wird.

Die Belgier haben es uns nicht leicht gemacht,
die Kunstschätze ihres Landes so zu würdigen, wie
sie es verdienen. Es gibt kein Inventar, wie solche
in allen deutschen Bundesstaaten und in den einzelnen
preußischen Provinzen schon bestehen oder im Er-
scheinen begriffen sind, es wird nur seit einem Jahr-
zehnt wieder lebhaft über ein solches verhandelt,
nachdem der Plan schon 1861 aufgestellt war. Ein
nur für den Gebrauch] der commission royale des
monuments geschaffenes, nicht im Handel befindliches
Repertorium beruht nur auf den ausgesandten Frage-
bogen und gibt nur ein Verzeichnis der Ausstattung,
nicht der Gebäude selbst. Es gibt aber auch keine
Landesbeschreibung, die den Denkmälern gerecht wird,
keine ausführliche oder knappe wissenschaftliche Dar-
stellung der heimischen" Kunstgeschichte in ihrem
ganzen Umfang, und so viel und so Ausgezeichnetes
die belgischen Forscher, die auch nach dem Tode
von Henry Hymans und Max Rooses noch Namen
von allerbestem Klang aufzuweisen haben, für die Ge-
schichte der Kunst vom 15. Jahrhundert ab, zumal für
die Primitiven wie für die Rubenszeit, getan haben,
so gering geachtet scheint dort das Mittelalter. Es
ist ein deutscher Forscher, Otto v. Falke, gewesen,
der zuerst die Persönlichkeiten der großen führenden
Künstler der romanischen Zeit auf dem Gebiete der

Edelmetallkunst im Maastal klar erkannt hat. Der
verstorbene Jules Heibig hat seiner Heimat Lüttich
drei verschiedene Darstellungen gewidmet (Histoire
de la Sculpture au pays de Liege, La Peinture au
pays de Liege, L'Art Mosan), aber für die Architektur
hat er kein Herz gehabt. An großen Tafelveröffent-
lichungen für die Denkmäler sind wir noch immer
auf das große Werk von Ysendyck, Documents classes
de l'art dans le Pays-Bas, angewiesen, aber auch das
ist dem Mittelalter gegenüber mehr als dürftig und
beruht zumeist auf Zufallsaufnahmen. Es sind deut-
sche Forscher, die für die Architektur Belgiens die
Hauptlinien aufgezeichnet haben, Dehio und v. Bezold
für das Mittelalter, Ewerbeck, Galland und Hedicke
für die Renaissance, Gurlitt für das Barock. Es ist
der deutsche Jesuit Jos. Braun, der in seinem Buch
über die belgischen Jesuitenkirchen die Bedeutung
dieser wichtigen Bautengruppe zuerst gewürdigt hat.
Wie gering sind die Beiträge der Belgier selbst gerade
auf diesem Gebiet, und die einzelne fruchtbare Re-
sultate verheißenden Forschungen, wie etwa das Buch
von R. Lemaire, Les Origines de l'art gotique fla-
mande, sind leider nicht weitergeführt. Auch heute
noch ist unter allen Gebieten der belgischen Kunst
am geringsten unsere Kenntnis von seiner Architektur.
Einen Versuch der Zusammenfassung hatte schon
A. G. B. Schayes in seiner Histoire de .'architecture
en Belgique gegeben, aber er hat keinen Nachfolger
gefunden. Nur eine erste Skizze hat in dem letzten
Werk vor seinem Tode in seiner Geschichte der
Kunst in Flandern Max Rooses gegeben, dessen ganze
Liebe doch der Malerei gehörte.

Für den, der sich mit der Entwicklung der*west-
deutschen Kunst und der rheinischen Kunst beschäftigt,
ist es ganz unmöglich, von diesen Werken auf belgischem
Boden abzusehen. Wer in seinem Blick durch die
schwarz-weiß-rote Zufallsgrenze gebannt, in seinen
Forschungen hier Halt macht, muß notwendig ein
falsches Bild erhalten. Die niederrheinische Architektur
der Spätgotik haben wir längst als der gleichen Schule
wie die große Gruppe der holländischen Kirchen nach
der Zuidersee hin angehörig ansehen gelernt, wir sehen
die Brücken zwischen den Domen in Utrecht und in
Xanten. Die niederrheinische Plastik, die Schule von
Kalkar, Cleve, Wesel, ist gar nicht zu verstehen, ohne
die Kunst des jetzigen holländischen Gelderland heran-
zuziehen. Viel schwerer aber wird es uns schein-
bar, in Gedanken die belgische Grenze zu über-
springen. Und doch ragt gerade im frühen Mittel-
alter der Einfluß der Rheinlande weit über dieses Ost-
belgien hinaus bis nach Tournai, wo rheinische und
französische Elemente eine so merkwürdige Mischung
eingehen, und doch ist die ganze Kunst Lüttichs auf
das engste mit der des Aachener Gebietes verwandt.
Diese belgischen Provinzen sind ja alles alle Teile des
Römischen Reiches deutscher Nation, haben lange zum
Herzogtum Lothringen gehört, sind dann zum großen
Teil an Burgund gekommen und mit Burgund dann
wieder an das Haus Habsburg gelangt. Luxemburg,
das über die Grenzen des heutigen kleinen Groß-
herzogtums hinaus den ganzen waldigen Süden des
 
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