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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

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Clemen, Paul: Die Baudenkmäler im östlichen Belgien
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https://doi.org/10.11588/diglit.6190#0070

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Die Baudenkmäler im östlichen Belgien

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überall vorherrscht, ist er der Vorgänger all der reich
durchbrochenen Turmlösungen des nächsten Jahr-
hunderts geworden, in der Höhe von 114 m nur
von dem Turm von Notre Dame in Antwerpen
(123 m) übertroffen. Das Rathaus in Löwen, auf das
sich in der letzten Zeit das ganze Interesse vereinigt
hat, ist in unmittelbarem Anschluß an den Brüsseler
Bau 1448 bis 1563 durch Matthias de Layens, den
Stadtmaurermeister, aufgeführt. Deutlich ist das Mo-
tiv der Fahnenmasten ähnlichen Ecktürmchen, hier
nur noch reicher ausgebildet, von Brüssel geborgt.
Aber dieses ganze regelmäßige Baugehäuse ist fast
allzusehr überhäuft von dekorativen Arbeiten, so daß
der Eindruck der Gliederung fast verloren geht. Es
erscheint wie ein spätgotischer Reliquienschrein. Die
Wirkung ist oft mehr kunstgewerblich als architekto-
nisch. Der Außenbau ist schon einmal in den Jahren
1829 bis 1842 vollständig restauriert. Eine zweite
Erneuerung, die nach einem Brandunglück von 1890 be-
gonnen ist, war noch nicht abgeschlossen, der Bau
war noch von dem hohen Gerüst umgeben, das ihm
jetzt auf ein Haar so verhängnisvoll geworden wäre.
Die verschwundenen Statuetten, mit denen die Front
in drei Geschossen geschmückt ist, waren schon in
der Mitte des 19. Jahrhunderts von dem belgischen
Bildhauer W. Goyers und anderen schlecht und recht
ersetzt. Schlimmer aber ist, daß man die entzücken-
den Plastiken der Kragsteine, die noch erhalten waren
und die zu den ausgezeichnetsten Schöpfungen der
spätgotischen Plastik von Brabant gehören, zum großen
Teil durch Kopien ersetzt hat, die die persönliche
Sprache der Originale ganz und gar nicht wieder-
geben. So ist das, was heute von dem Rathaus uns
vor Augen steht, im Material in der Hauptsache
jedenfalls nicht mehr das ehrwürdige Original.

Noch weniger ist das der Fall bei der bekannten
Maison du Roi in Brüssel, dem Rathaus gegenüber
gelegen. Der Bau war 1514 bis 1525 als Sitz der
Hofbeamten aufgeführt, aber nach der Beschießung
von 1695 als ein späterer Barockbau neu errichtet.
Erst vom Jahre 1873 ab ist das Haus durch den
Architekten V. Jamaer nach den ursprünglichen Plänen
als spätgotischer Bau neu aufgeführt worden (beendet
1896). In der Detailbehandlung trägt das Werk den
Stempel dieser retrospektiven Epoche, ebenso wie die
Front des Aachener Rathauses, und vielleicht wird
man einmal erwägen, ob, wie dort in der Couven-
schen Front, so hier in den barocken Fassaden, nicht
auch für das Stadtbild wichtige malerische Werte bei
dieser Zurückrestauration zerstört worden sind.

Die Spätgotik ist nun überhaupt die große Zeit
für die belgische Architektur. Wenn man hier ein-
mal statistisch zusammenstellen würde, wie erstaun-
lich die Zahl der Kirchen und Profangebäude aus
diesem Abschnitt ist, wie reich und wie selbständig
die Stilfärbung, wird man die Wichtigkeit dieser
Periode begreifen. Die erstaunliche Vitalität der Spät-
gotik zeigt sich vor allem auch darin, daß sie das
ganze 16. Jahrhundert hindurch neben der eindringen-
den Renaissance und trotz dieser am Leben bleibt.
Von dem Stil der Kirchen geben vor allem die

Lütticher Bauten einen lebendigen Begriff. Die
Jakobskirche, deren Langhaus mit dem polygonalen
Chor und dem Kapellenkranz erst 1538 den Abschluß
fand, zeigt den üppigen Reichtum dieser auf dekora-
tive Wirkungen hinausgehenden Architektur, die auch
malerische Mittel anruft, um diese Wirkung zu steigern:
Die Gewölbefelder sind mit krausem Rankenwerk,
die Bogenzwickel über den Arkaden mit an maureske
Dekorationen erinnernden Flachmustern gefüllt. Es
ist derselbe Stil der Bemalung der Netzgewölbe, wie
er schon am Ende des 15. Jahrhunderts am ganzen
Niederrhein, in Köln und Brauweiler, in Xanten und
Kalkar, in Duisburg und Wesel auftritt, wie er dann
in der 1579 geschaffenen Dekoration der Gewölbe
der Paulskirche in Lüttich noch ein letztes glänzendes
Denkmal zeitigt. St. Martin in Lüttich zeigt einen
etwas strengeren und einfacheren Stil, ebenso der
Ausbau der schon 1423 begonnenen Peterskirche in
Löwen. Diese Spätgotik in Lüttich tritt in derselben
Zeit auf, in der dort in dem prachtvollen fürstbischöf-
lichen Palast, dem jetzigen Justizpalast, an dem
32 Jahre gebaut worden ist (vom Kardinalbischof
Eberhard von der Marek zwischen 1508 und 1540
errichtet), schon jene feine und wirkungsvolle Mischung
spätgotischer Fensterformen und Giebel mit Renaissance-
hallen sich zeigt.

Das eigentliche Feld dieser Spätgotik ist das Deko-
rative. Die konstruktive Bedingtheit, die durch das
Material gegebene Grenze werden bald völlig ver-
gessen. An Stelle des Spitzbogens tritt der Kielbogen
und der ganz gedrückte Korbbogen. Das 1545 ent-
standene Portal an der Notre-Dame-Kirche in Mecheln
zeigt etwa diese Formen, noch mehr die für Brabant
so charakteristischen reichen Lettnereinbauten. Noch
streng und durchsichtig, mit sehr bescheidenem Fi-
gurenschmuck versehen, ist ein solcher in St. Peter
in Löwen erhalten, reicher und üppiger in Aerschot,
Tessenderloo und etwa in St. Gommaire in Lier, wo
der in weißen Steinen auf schwarzen Marmorsäulen
aufgebaute Lettner den üppigen Stil des Henri
van Pree aus Brüssel zeigt. Auch diese Kunst hängt
aber eng mit dem Niederrhein zusammen. Dem Be-
sucher von Köln wird der jetzt als Orgelbühne ein-
gebaute frühere Lettner aus St. Pantaleon in Köln
erinnerlich sein, der 1514 vollendet ist. Er gehört
in die Reihe dieser spätgotischen Lettner Belgiens,
ebenso wie der bekannte Lettner in St. Maria im
Kapital, das früheste Renaissancewerk in Köln, ein
Werk Mechelner Künstler aus dem Jahre 1524.

Von dem Reichtum der Hausbauten aus dieser
Zeit des Kampfes zwischen Spätgotik und Früh-
renaissance geben Mecheln und Antwerpen einen guten
Begriff. An dem Haverkai liegt hier noch das Holz-
haus »de Duivelsgevel«, daneben das schöne Stein-
haus »le paradis terrestre«. Am Zoutwerf ist vor
allem das Zunfthaus der Fischhändler mit seiner
schönen Hausteinfassade zu nennen, ein Frühwerk
des Mechelner Meister Rombout Keldermans, der auch
den Palast der Margarete von Österreich, den späteren
Sitz des großen Rates, aufgeführt hat. Gegenüber
den vielen Versuchen einer mehr spielerischen, ganz
 
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