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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

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Clemen, Paul: Die belgischen Baudenkmäler
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https://doi.org/10.11588/diglit.6190#0075

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Die Baudenkmäler im östlichen Belgien

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dem Mauerwerk die charakteristischen Spuren des
Aufprallens der Geschoßgarben zurückgelassen haben.
Auf der Südseite ist die Kirche durch vier Granaten
getroffen worden, die jedesmal eine ganz begrenzte
Zerstörung verursacht haben. Im ersten westlichen
Joch des südlichen Seitenschiffes weist der Strebe-
pfeiler eine vier Meter lange Lücke auf. Die linke
Seite des Fenstermaßwerkes und das anstoßende Ge-
wände sind ausgebrochen. Im vierten Joch des süd-
lichen Seitenschiffes ist eine Granate unmittelbar über
dem Scheitel des Fensters eingeschlagen, hat hier das
Mauerwerk über dem Fensterscheitel, die anstoßende
Gewölbekappe und ein Stück des Daches mitge-
nommen. Im südlichen Kreuzarm hat eine Granate
einen Teil des unteren Stabwerkes des großen Quer-
schiffensters mit dem anstoßenden Gewände zer-
schmettert. Endlich hat am Hochchor im dritten
Joch der Südseite ein Geschoß den oberen Teil des
Fensters mit dem Wimperg und im sechsten ein
langes Stück der Balustrade zertrümmert und die an-
stoßende Gewölbekappe mit dem Dach beschädigt.
Die Fenster der Kirche sind ebenso wie die Fenster
der sämtlichen benachbarten Gebäude durch den un-
geheuren Luftdruck des Bombardements zerbrochen,
doch handelt es sich hier ausschließlich um neuere
Glasmalereien, die ältesten datieren vom Jahre 1854.

An der Liebfrauenkirche sind an der Südseite wie
an der Nordseite verschiedentliche Spuren von
Schrapnellschüssen zu konstatieren neben dem Ein-
schlagen einer Granate. An der Nordseite ist der
fünfte Strebepfeiler am Hochschiff durchschlagen, das
dritte Fenster des Seitenschiffes ist im unteren Teil
beschädigt. An der Südseite hat am Querschiffenster
in der unteren rechten Ecke ein Geschoß zwei Stäbe
des Maßwerkes und ein Stück des Gewändes be-
schädigt. Im zweiten Seitenschiffjoch ist das Fenster
mit dem Dach darüber zerstört. Doch sind all diese
Schäden an beiden Kirchen lokal begrenzt, sie haben
keine weitergehenden bedenklichen Erscheinungen zur
Folge gehabt und berühren in keiner Weise die Sta-
bilität des Baues — mit den notwendigen provi-
sorischen Sicherungsmaßregeln ist schon begonnen
worden.

An dem ehemaligen Rathaus des 14. Jahrhunderts
ist die Front durch zwei Schüsse in geringem Um-
fang beschädigt. Unmittelbar über dem Portal ist
eine Granate eingeschlagen, eine zweite hat die linke
Seite der Abstrebung des Giebels mit fortgenommen.
An dem gegenüber gelegenen malerischen Schepenhuis
vom Jahre 1374 hat ein Geschoß das eine Ecktürm-
chen der Rückseite glatt abgerissen, da aber das
Gegenstück erhalten ist, ist die Wiederherstellung
ohne weiteres möglich. Das Dach des Vorbaus war
schon bei dem Beginn des Bombardements in Brand
geschossen worden.

In Li er, das in den Kämpfen um Antwerpen
schwer zu leiden gehabt, hat die spätgotische Gom-
mariuskirche doch nur verhältnismäßig geringe Be-
schädigungen aufzuweisen. Sie ist ersichtlich von
beiden Seiten beschossen worden und trägt vielfache
Spuren der aufschlagenden Schrapnells. Der Turm,

der als Beobachtungsstation unter Feuer genommen
ward, zeigt nur an der Nordwestseite des letzten
Obergeschosses eine große Lücke. Hier ist das ganze
Fenster mit einem Teil der Gewände zerstört. Die
Galerie, die in den viereckigen Turmkern vor der
Überführung ins Achteck abschließt, ist an zwei
Stellen durchbrochen, das Treppentürmchen zerrissen.
An der Westfront ist dazu eine Granate unmittelbar
über dem großen Fenster durchpassiert; der nord-
westliche und der nordöstliche Strebepfeiler am Turm
sind durch Schüsse beschädigt.

Am Langhaus sind vor allem am Chor und im
südlichen Seitenschiff begrenzte Zerstörungen zu kon-
statieren. An der Südwestecke des Chores hat ein
Granatenschuß ein Fenster zerstört und den Strebe-
pfeiler durchschlagen. Im südlichen Seitenchor hat
ein Geschoß das ganze Maßwerkfenster zerstört und
die Mauer darüber zertrümmert, doch sind auch diese
Schäden alle lokal beschränkt, haben keinerlei weiter-
gehende Zerstörung zur Folge gehabt, und die pro-
visorische Abdeckung und Dichtung wird sofort aus-
geführt werden, wie bei den durch den Luftdruck
mehr noch als durch die Schrapnells beschädigten
Glasgemälden des 15. und 16. Jahrhunderts die vor-
läufige Sicherung und teilweise Verschalung.

Die Jesuitenkirche, ein großer barocker Saalbau
mit Querschiff, hat durch den Brand das Dach ver-
loren. Die Orgelbühne, der Hochaltar und der rechte
Seitenaltar sind zerstört, doch haben die Gewölbe
gehalten und gestatten die sofortige Anlage eines Not-
daches. Von den kleineren Kapellenbauten, St. Peter
bei der Gommariuskirche und St. Jacob bei dem Rat-
haus, stehen die Mauern unversehrt und gestatten die
Wiederherstellung. Das Rathaus mit dem Beffroi ist
unversehrt erhalten, ebenso die gotische Häusergruppe
hinter dem Rathaus, wie gegenüber die Fassade des
Brouwerhuis mit den benachbarten barocken Fassaden.

In Dinant haben die harten blaugrauen Hau-
steinquadern der schönen frühgotischen Liebfrauen-
kirche der Feuersglut erfolgreich standgehalten. Der
Brand hat das Dach vollständig zerstört und damit
auch den Helm des hohen kürbisartigen barocken
Hauptturms. Die Gewölbe haben aber überall sich
als standfest bewährt, nur in der Turmhalle und in
der südlichen Seitenkapelle neben dem Turm ist je
eine Kappe durch die herabfallende Glocke durch-
brochen. Von dem Dach der im Norden angebauten
neuen Sakristei ist das Feuer durch das Fenster auf
die Orgel im nördlichen Querschiff übergesprungen
und hat diese verzehrt. Durch die Hitze sind gleich-
zeitig an der Nord- und Westseite die meisten Scheiben
zersprungen. Auch hier ist die notwendige Sicherung
schon eingeleitet. Die zwei Fenster hinter der Orgel
sind provisorisch durch eine Ziegelmauer geschlossen.
Die Verglasung wird ergänzt, ein Notdach über dem
Gewölbe aufgesetzt. Der Gottesdienst in der Kirche
ist sofort wieder aufgenommen worden.

Die übrigen Schäden an den Denkmälern des
nördlichen Belgiens sind geringfügigerer Natur. In
Dendermonde, das nicht weniger als neunmal
bombardiert und fortgesetzt von Deutschen und Bei-
 
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