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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

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Wallerstein, Victor: Eine Gruppe deutscher Gemälde des 15. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.6190#0079

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Eine Gruppe deutscher Gemälde des 15. Jahrhunderts

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stehen, um deren Willen wir sie ohne weiteres nicht
unbeachtet lassen dürfen.

Die Sammlung vaterländischer Altertümer in Stutt-
gart besitzt eine Anbetung der Könige (Kat. 20, phot.
Hoefle Nr. 506) in den Maßen von 1,15X1,65, also
ein Gemälde von stattlicher Größe. Nach nicht
weiter zu ermittelnden Nachrichten ging das Bild
früher unter dem Namen Walter von Dinkelsbühl,
aus welcher Zuschreibung aber keine weiteren Schlüsse
gezogen werden konnten. Bei der Zeitbestimmung
ist man nach wie vor auf den Stilcharakter ange-
wiesen und nach diesem wäre das Bild in die zweite
Hälfte des 15. Jahrhunderts, ungefähr um 1460 ent-
standen. In den Kreis ober- und mitteldeutscher
Bilder gestellt, zeigt es Verwandtschaften zu den Früh-
bildern Hans Multschers im Kaiser-Friedrich-Museum,
die sich aber nur auf Äußerlichkeiten und Konven-
tionalismen beziehen. Im Grunde haben wir es mit
einem eigenartigen Ausdruck eines Zeitgenossen zu
tun, dessen Charakteristik zu geben mir nicht über-
flüssig scheint.

Mit der Kunst des Moser, Witz und Multscher
war die zeichnerisch dekorative Richtung der Dar-
stellung aufgelöst und im Sinne einer naturalistischen
Anschauung mit plastisch-malerischen Tendenzen er-
füllt. Nun sehen wir einen Meister, der aus der ihn
umgebenden Anschauung herausgeht und die Ziele
seiner Kunst — wieder oder noch — im Ausdruck
der Linie und ihrem Verhältnis zur Bildfläche sieht.
Licht- und Raumprobleme sind für ihn in den Hinter-
grund getreten und gleichsam nur im Unterbewußt-
sein vorhanden.

Ich möchte hier gleichzeitig ein zweites Bild von
derselben Hand bezeichnen, das sich gemeinsam mit
einem dritten zugehörigen in der Sammlung des
Herzogs von Urach auf Schloß Lichtenstein befindet.
Es handelt sich um Nr. 93, den Tod der hl. Ursula
und ihrer Genossinnen und Nr. 95, die »Ausgießung
des Heiligen Geistes« (phot. Hoefle). Beide Bilder brachte
ich mit dem Stuttgarter schon vor mehreren Jahren
(in meiner Schrift über die »Raumbehandlung der
oberdeutschen und niederländischen Malerei« Straß-
burg 1909, p. 47) in Zusammenhang, ohne die
Originale zu kennen. Jetzt habe ich bestätigt ge-
funden, daß sie nicht nur der gleichen Hand, sondern
auch dem gleichen Altarwerk angehören. Die Maße
stimmen, die farbige Haltung wie die Art der all-
gemeinen Anschauung ist dieselbe. Wenn die Ab-
bildung Unterschiede zeigt, so ist das auf den ver-
schiedenen Erhaltungszustand der Bilder und das zu-
fällige Gelingen der Photographie zurückzuführen.

Daß diese drei Bilder wirklich zusammen gehören,
braucht nicht lange erst erwiesen zu werden. Man
vergleiche nur das Muster des Goldgrundes, die Steine
im Vordergrund auf zwei von den Bildern, die Be-
handlung des Bartes wie die Zeichnung von Augen,
Ohren und Nase, so ergeben sich schon solche Über-
einstimmungen, daß man für alle drei Bilder nur
einen Maler annehmen kann.

Am interessantesten scheint mir die Darstellung
der Ursulalegende, weil sie im 15. Jahrhundert ver-

hältnismäßig selten ist und daher vom Maler eine
eigene Betrachtung des Stoffes verlangte. Unser Maler
verteilt diese an Handlung so reiche Szene nicht wie
Memling auf mehrere Tafeln, sondern schildert sie
auf einer einzigen. Daraus erwächst eine Fülle der
dramatischen Motive, von denen man aber im Bilde
kaum etwas merkt. In einem einzigen Schiffkörper
sind unverhältnismäßig viele Figuren zusammen-
gedrängt. Objektiv völlig unmöglich, ist diese An-
ordnung vom formalen Gesichtspunkte klar und
deutlich. Die Mitte des Bildes wird symmetrisch ge-
füllt und betont. Der Raum, der zu beiden Seiten
noch übrig ist, wird links durch eine neue ge-
schlossene, mit der Mitte formal verbundenen Gruppe
ausgefüllt. Ihr entspricht rechts eine einzige Figur,
die allerdings in der Bewegtheit an sich, wie durch
die Eindringlichkeit dieser Bewegung der Gruppe
gegenüber, wuchtig genug das Gleichgewicht hält.
Das Einzelmotiv mußte eine so ausschlaggebende
Betonung bekommen, wenn die dekorative Auffassung
der Aufgabe beibehalten und dabei die Handlung
dennoch eindringlich vor Augen geführt werden sollte.
Die Aktion mußte gleichsam in künstlerische Funktion
umgesetzt werden. Für die objektive Wahrheit trat
die künstlerische ein. Das spricht sich auch in der
Farbe aus.

Man kann hier die prächtige Landschaft des
Konrad Witz (1444) zum Vergleich heranziehen. Der
tiefe Zusammenklang von Grün, Blau, Rot, Gelb ist
ähnlich und ebenso reich wie dort, nur daß hier
statt der Beobachtung gewisser naturalistischer Phä-
nomene (wie Wasserspiegelungen, Luftperspektive) ein
bewußtes, vom Natureindruck unabhängiges Inein-
anderordnen der einzelnen Farbklänge stattfindet.
Ich möchte nur kurz auf die rote Spitzkappe des
linken Kriegsknechtes weisen, die in den tiefblauen
Himmel schneidet, ebenso auf ein paar Ecken unbe-
wachsenen Ufers rechts, die ganz gegen naturalistische
Beobachtung rot an das blaue Wasser reichen, die
roten Schuhe der Knechte, die die gelben und grünen
Töne des Bodens beleben, endlich auf das zinnober-
farbige Kleid der vornüberfallenden Jungfrau, das mit
seinem starken Klang die Stetigkeit der farbigen Auf-
einanderfolge im Bilde sichert.

Die Typen im allgemeinen erinnern an Multscher;
aber mehr wie eine zeitgenössische Erscheinung an die
andere. Dabei besitzen sie Eigentümlichkeiten, die so
auffallen, daß sich nach ihnen leicht weitere Werke
derselben Hand oder derselben Werkstatt finden lassen
müssen: der kugelartig schematische Aufbau des
Schädels, der Einschnitt zwischen Augenbogen und
Jochbein, die abstrakte Behandlung des Haupthaares
und der durch langgezogene, vom Mund ausgehende
Furchen zerteilte Bart, der Faltenwurf mit seinen
röhrenartig, ziemlich schwerfällig und absichtlich an-
geordneten Gruppen.

Ich glaube die charakteristischen Merkmale auf
zwei Altarflügeln wiederzuerkennen, die im Kaiser-
Friedrich-Museum (Nr. 248) aufbewahrt werden und
dort einen Schnitzaltar schließen. Sie stammen aus
dem Münchener Kunsthandel und scheinen ursprüng-
 
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