143
Mitteilungen aus ausländischen Kunstzeitschriften
144
Argumente, glaubt jedoch, Schmidt-Degener täte besser
daran, kritischer zu verfahren.
Dr. Veth hebt hervor, daß Schmidt-Degener vor einigen
Jahren eine sehr interessante Entdeckung gemacht hat. Er
wies darauf hin, daß eine gewisse Ubereinstimmung be-
steht zwischen einigen Figuren von Rembrandts Gemälde
»Einheit des Landes«, im Rotterdamer Museum, und der
Nachtwache. Danach stellte Schmidt-Degener folgende
Hypothese auf: »die ,Einheit' sei eine Vorstudie zur Nacht-
wache, eine Art erste Konzeption, nicht endgültig aus-
geführt, trage jedoch manches Essentielle schon in sich.«
Die Erklärung der Ubereinstimmung ist jedoch nach
Veths Meinung eine viel einfachere: die Bilder sind in der
gleichen Zeit entstanden. Im eigentlichen Stil der beiden
Gemälde sieht Veth so wenig Ubereinstimmung, daß es
ihm unmöglich ist, die Hypothese Schmidt-Degeners zu
unterschreiben.
Nun meint Dr. Veth, der Rotterdamer Direktor habe
auch in seiner Studie über das Problem der Nachtwache
seine Schlußfolgerungen zu rasch gezogen. Er behandelt
dann die in beiden Aufsätzen angeführten Beweisgründe.
Es ist ihm unmöglich, in dem Porträt von Joris de Caullery
den Prototyp der Ruytenburg-Figur auf der Nachtwache
zu sehen, auch bemerkte er keine auffallende Überein-
stimmung zwischen der Komposition des Marten Day und
Banning Cocq.
Außerhalb der drei oder vier Figuren, die man in der
»Einheit« wiederfindet, gibt es in der Nachtwache wohl
noch mehr Details, die Rembrandt in früheren Arbeiten
vorbereitet hat; für diese Behauptung führt Dr. Veth ver-
schiedene Beispiele an.
Wenn man solche Einzelheiten in die Frage einbezieht,
ob ein Gemälde beschnitten sei oder nicht, soll man sehr
vorsichtig sein. Die mise-en cadre z. B. eines einzelnen
Porträts kann nie eine Beweisführung liefern für die Be-
grenzung einer Figur in einer so zusammengedrängten
Komposition wie die Nachtwache ist. Darum glaubt der Ver-
fasser nicht an Degeners Behauptung, vor den Füßen
Banning Cocqs hätte sich mehr Raum ausgebreitet, eine
Hypothese, die er aufstellt nach einzelnen Porträts wie
das von Marten Day und das des stehenden Herrn in
Kassel. Ein Gemälde wie die Nachtwache kann man
nicht betrachten wie eine Karte, die aus einzelnen Stücken
zusammengesetzt ist. Es ist eine unteilbare Komposition
und soll als solche nur mit anderen Kompositionen Rem-
brandts verglichen werden. Schmidt-Degener findet die
Nachtwache, wie wir sie heute kennen, »ruhelos bis in die
äußersten Ecken«, die Figuren sind ihm zu »elefantesk«.
Dr. Veth nun führt verschiedene Kompositionen Rembrandts
an, die gleichfalls bis gegen den Rahmen gedrängt sind.
Das Klischee der Nachtwache, das Schmidt-Degener zur
Illustrierung seines Aufsatzes benutzt, ist unten ansehnlich
beschnitten. Infolgedessen steht der Fuß von Banning
Cocq, im Gegensatz zum Gemälde, nicht mehr frei. Alle
diese von Dr. Veth genannten Kompositionen entbehren
vielleicht »das letzte Tempo der Kaskade des Sonnen-
lichtes«, des von Schmidt-Degener so gerühmten Schlag-
schattens am unteren Rande, der wohl bei Lundens vor-
kommt, jedoch bei Rembrandt außerhalb des Rahmens
fallen würde, was für Degener der beste Beweis für die Be-
schneidung des unteren Teiles der Nachtwache ist. Dr. Veth
aber behauptet, der Kopist Lundens habe hier nicht ganz
genau gearbeitet, denn die Distanz vom Fuß von Banning
Cocq bis zum Rande ist größer als bei Rembrandt, während
die Entfernung von dem Trommler mit dem Hunde auf
beiden Gemälden gleich ist. Als das Bild 1906 aus dem
Rahmen genommen wurde, sah Dr. Veth unter dem Rande
in der alten Farbe deutlich einen kräftigen, horizontalen
Streifen, womit Rembrandt selbst die ursprüngliche Be-
grenzung der Bildfläche festgestellt hat.
Wie bekannt, zeigt die linke Seite der Lundensschen
Kopie die nicht auf dem Rembrandtschen Original vorkom-
menden Porträts zweier Männer und eines Kindes. Schmidt-
Degener nun hat den Typus eines dieser Männer wieder-
gefunden im Bildnis von 1637 beim Prinzen Gagarin zu
Moskau. Dr. Veth meint hingegen, mit diesem strammen
jungen Mann, der so zierlich mit seinem Hut spielt, habe
die »leimerige« Figur von Lundens im wesentlichen nichts
gemein, weder im Charakter noch in der Haltung.
Die zweite Person nennt Degener so wenig auffallend,
daß man nicht nach einem Typus suchen kann. Einen
schlagenden Beweis für die Rembrandtsche Herkunft dieser
drei Figuren liefert nach Degener die Anwesenheit eines
kleinen Kindes. Seine Argumente sind: daß Rembrandt
einmal unter eine Zeichnung nach Lastman geschrieben
hat: »En vooruyt is een jonck kint« (und voran ist ein
junges Kind); auch hat er gerade in diesen Jahren 155 Zeich-
nungen, »synde het vrouwenleven met kinderen« (dar-
stellend das Leben der Frauen mit Kindern), gemacht, und
ein Kind mit einem Falbelhut kommt, ähnlich wie auf der
Lundensschen Kopie, öfter bei Rembrandt vor. Also —
sagt Schmidt-Degener — das Kind ist von Rembrandt auf
die ursprüngliche Nachtwache gemalt. Dr. Jan Veth er-
innert sich nicht, jemals eine Schlußfolgerung gelesen zu
haben, die ihn mehr gewundert hätte. Schmidt-Degener
führt verschiedene Beweisführungen an für die Beschnei-
dung der Nachtwache an der oberen Seite, und zwar nach
Anlaß der Kopie von Lundens. Dr. Jan Veth seinerseits
behauptet, Lundens habe das Gemälde höher gemacht,
denn die Skizze vor 1655 für das Album der Familie
Banning Cocq zeigt den oberen Teil gerade wie wir ihn
kennen, und der Zeichner konnte doch nicht ahnen, wie-
viel man später abschneiden würde.
Dr. Veth gibt dann verschiedene Beispiele von Ge-
mälden aus allerlei Perioden, denen man absichtlich mehr
Raum gegeben hat. Es sind folgende:
1. Die Flügel von Dürers Paumgärtner-Altar in Mün-
chen sind im Anfange des 17. Jahrhunderts von dem
Münchener Hofmaler J. G. Fischer vergrößert mittels
geistreich erfundener Stücke an beiden Seiten. Etwa
300 Jahre lang hat man diese geräumigeren Hintergründe
für original gehalten, und als man sie (es ist noch nicht
länge her) fortgenommen hatte, hat ein Teil des Publikums
laut darum getrauert.
2. Ein Gemälde von Lucas Cranach, »die Ehebrecherin«,
gleichfalls in München, wurde, vielleicht von demselben
J. G. Fischer, mit einer Figur links und einer Vergrößerung
der Architektur nach oben versehen.
3. Ein Gemälde von Hans Burgkmair, Johannes auf
Patmos darstellend, und auch in München, nicht unwahr-
scheinlich vom selben Fischer bearbeitet, bekam oben und
an beiden Seiten Streifen von Blättern und Tieren an-
gesetzt.
4. Die berühmte Madonna des Bürgermeisters Meyer,
von Holbein, in Darmstadt, wurde mehr als ein Jahr-
hundert nach ihrer Entstehung, wahrscheinlich in den
Niederlanden, so schön kopiert, daß man die Kopie, jetzt
im Museum zu Dresden, bis 1871 allgemein für das Original
gehalten hat. Den Kopisten oder seinen Gönner hat es
wahrscheinlich unangenehm angemutet, daß die Kom-
position so gedrückt im Rahmen stand, und darum hat er
durch Ausdehnung der verschiedenen Teile und Hinzu-
fügung von Streifen das Gemälde ansehnlich größer gemacht.
5. Das Porträt des Landschaftsmalers Jan Wildens von
van Dyck in der Kasseler Galerie ist, wie der Museums-
Mitteilungen aus ausländischen Kunstzeitschriften
144
Argumente, glaubt jedoch, Schmidt-Degener täte besser
daran, kritischer zu verfahren.
Dr. Veth hebt hervor, daß Schmidt-Degener vor einigen
Jahren eine sehr interessante Entdeckung gemacht hat. Er
wies darauf hin, daß eine gewisse Ubereinstimmung be-
steht zwischen einigen Figuren von Rembrandts Gemälde
»Einheit des Landes«, im Rotterdamer Museum, und der
Nachtwache. Danach stellte Schmidt-Degener folgende
Hypothese auf: »die ,Einheit' sei eine Vorstudie zur Nacht-
wache, eine Art erste Konzeption, nicht endgültig aus-
geführt, trage jedoch manches Essentielle schon in sich.«
Die Erklärung der Ubereinstimmung ist jedoch nach
Veths Meinung eine viel einfachere: die Bilder sind in der
gleichen Zeit entstanden. Im eigentlichen Stil der beiden
Gemälde sieht Veth so wenig Ubereinstimmung, daß es
ihm unmöglich ist, die Hypothese Schmidt-Degeners zu
unterschreiben.
Nun meint Dr. Veth, der Rotterdamer Direktor habe
auch in seiner Studie über das Problem der Nachtwache
seine Schlußfolgerungen zu rasch gezogen. Er behandelt
dann die in beiden Aufsätzen angeführten Beweisgründe.
Es ist ihm unmöglich, in dem Porträt von Joris de Caullery
den Prototyp der Ruytenburg-Figur auf der Nachtwache
zu sehen, auch bemerkte er keine auffallende Überein-
stimmung zwischen der Komposition des Marten Day und
Banning Cocq.
Außerhalb der drei oder vier Figuren, die man in der
»Einheit« wiederfindet, gibt es in der Nachtwache wohl
noch mehr Details, die Rembrandt in früheren Arbeiten
vorbereitet hat; für diese Behauptung führt Dr. Veth ver-
schiedene Beispiele an.
Wenn man solche Einzelheiten in die Frage einbezieht,
ob ein Gemälde beschnitten sei oder nicht, soll man sehr
vorsichtig sein. Die mise-en cadre z. B. eines einzelnen
Porträts kann nie eine Beweisführung liefern für die Be-
grenzung einer Figur in einer so zusammengedrängten
Komposition wie die Nachtwache ist. Darum glaubt der Ver-
fasser nicht an Degeners Behauptung, vor den Füßen
Banning Cocqs hätte sich mehr Raum ausgebreitet, eine
Hypothese, die er aufstellt nach einzelnen Porträts wie
das von Marten Day und das des stehenden Herrn in
Kassel. Ein Gemälde wie die Nachtwache kann man
nicht betrachten wie eine Karte, die aus einzelnen Stücken
zusammengesetzt ist. Es ist eine unteilbare Komposition
und soll als solche nur mit anderen Kompositionen Rem-
brandts verglichen werden. Schmidt-Degener findet die
Nachtwache, wie wir sie heute kennen, »ruhelos bis in die
äußersten Ecken«, die Figuren sind ihm zu »elefantesk«.
Dr. Veth nun führt verschiedene Kompositionen Rembrandts
an, die gleichfalls bis gegen den Rahmen gedrängt sind.
Das Klischee der Nachtwache, das Schmidt-Degener zur
Illustrierung seines Aufsatzes benutzt, ist unten ansehnlich
beschnitten. Infolgedessen steht der Fuß von Banning
Cocq, im Gegensatz zum Gemälde, nicht mehr frei. Alle
diese von Dr. Veth genannten Kompositionen entbehren
vielleicht »das letzte Tempo der Kaskade des Sonnen-
lichtes«, des von Schmidt-Degener so gerühmten Schlag-
schattens am unteren Rande, der wohl bei Lundens vor-
kommt, jedoch bei Rembrandt außerhalb des Rahmens
fallen würde, was für Degener der beste Beweis für die Be-
schneidung des unteren Teiles der Nachtwache ist. Dr. Veth
aber behauptet, der Kopist Lundens habe hier nicht ganz
genau gearbeitet, denn die Distanz vom Fuß von Banning
Cocq bis zum Rande ist größer als bei Rembrandt, während
die Entfernung von dem Trommler mit dem Hunde auf
beiden Gemälden gleich ist. Als das Bild 1906 aus dem
Rahmen genommen wurde, sah Dr. Veth unter dem Rande
in der alten Farbe deutlich einen kräftigen, horizontalen
Streifen, womit Rembrandt selbst die ursprüngliche Be-
grenzung der Bildfläche festgestellt hat.
Wie bekannt, zeigt die linke Seite der Lundensschen
Kopie die nicht auf dem Rembrandtschen Original vorkom-
menden Porträts zweier Männer und eines Kindes. Schmidt-
Degener nun hat den Typus eines dieser Männer wieder-
gefunden im Bildnis von 1637 beim Prinzen Gagarin zu
Moskau. Dr. Veth meint hingegen, mit diesem strammen
jungen Mann, der so zierlich mit seinem Hut spielt, habe
die »leimerige« Figur von Lundens im wesentlichen nichts
gemein, weder im Charakter noch in der Haltung.
Die zweite Person nennt Degener so wenig auffallend,
daß man nicht nach einem Typus suchen kann. Einen
schlagenden Beweis für die Rembrandtsche Herkunft dieser
drei Figuren liefert nach Degener die Anwesenheit eines
kleinen Kindes. Seine Argumente sind: daß Rembrandt
einmal unter eine Zeichnung nach Lastman geschrieben
hat: »En vooruyt is een jonck kint« (und voran ist ein
junges Kind); auch hat er gerade in diesen Jahren 155 Zeich-
nungen, »synde het vrouwenleven met kinderen« (dar-
stellend das Leben der Frauen mit Kindern), gemacht, und
ein Kind mit einem Falbelhut kommt, ähnlich wie auf der
Lundensschen Kopie, öfter bei Rembrandt vor. Also —
sagt Schmidt-Degener — das Kind ist von Rembrandt auf
die ursprüngliche Nachtwache gemalt. Dr. Jan Veth er-
innert sich nicht, jemals eine Schlußfolgerung gelesen zu
haben, die ihn mehr gewundert hätte. Schmidt-Degener
führt verschiedene Beweisführungen an für die Beschnei-
dung der Nachtwache an der oberen Seite, und zwar nach
Anlaß der Kopie von Lundens. Dr. Jan Veth seinerseits
behauptet, Lundens habe das Gemälde höher gemacht,
denn die Skizze vor 1655 für das Album der Familie
Banning Cocq zeigt den oberen Teil gerade wie wir ihn
kennen, und der Zeichner konnte doch nicht ahnen, wie-
viel man später abschneiden würde.
Dr. Veth gibt dann verschiedene Beispiele von Ge-
mälden aus allerlei Perioden, denen man absichtlich mehr
Raum gegeben hat. Es sind folgende:
1. Die Flügel von Dürers Paumgärtner-Altar in Mün-
chen sind im Anfange des 17. Jahrhunderts von dem
Münchener Hofmaler J. G. Fischer vergrößert mittels
geistreich erfundener Stücke an beiden Seiten. Etwa
300 Jahre lang hat man diese geräumigeren Hintergründe
für original gehalten, und als man sie (es ist noch nicht
länge her) fortgenommen hatte, hat ein Teil des Publikums
laut darum getrauert.
2. Ein Gemälde von Lucas Cranach, »die Ehebrecherin«,
gleichfalls in München, wurde, vielleicht von demselben
J. G. Fischer, mit einer Figur links und einer Vergrößerung
der Architektur nach oben versehen.
3. Ein Gemälde von Hans Burgkmair, Johannes auf
Patmos darstellend, und auch in München, nicht unwahr-
scheinlich vom selben Fischer bearbeitet, bekam oben und
an beiden Seiten Streifen von Blättern und Tieren an-
gesetzt.
4. Die berühmte Madonna des Bürgermeisters Meyer,
von Holbein, in Darmstadt, wurde mehr als ein Jahr-
hundert nach ihrer Entstehung, wahrscheinlich in den
Niederlanden, so schön kopiert, daß man die Kopie, jetzt
im Museum zu Dresden, bis 1871 allgemein für das Original
gehalten hat. Den Kopisten oder seinen Gönner hat es
wahrscheinlich unangenehm angemutet, daß die Kom-
position so gedrückt im Rahmen stand, und darum hat er
durch Ausdehnung der verschiedenen Teile und Hinzu-
fügung von Streifen das Gemälde ansehnlich größer gemacht.
5. Das Porträt des Landschaftsmalers Jan Wildens von
van Dyck in der Kasseler Galerie ist, wie der Museums-