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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

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Tietze, Hans: Ernst Heidrich: ein Gedenkwort
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https://doi.org/10.11588/diglit.6190#0095

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171

Ernst Heidrich

172

ausgeglichene Klarheit besitzen, dennoch mehr un-
verbunden, oder besser gesagt, nur gelegentlich ver-
bunden, nebeneinander; Kette und Einschlag bilden
noch nicht das knotenlose Gewebe wie später. Aber
die Wahl gerade dieses Dissertationsthemas zeigt, wie
sehr die Frage nach der Einheitlichkeit und Untrenn-
barkeit der beiden Seiten aller künstlerischen Er-
scheinungen für Heidrich von Anfang an klargestellt
war. »Dürer und die Reformation« (Leipzig 1909)
ist in der mit voller Sicherheit erfaßten Richtung ein
wesentlicher Schritt nach vorwärts: sowohl darin, daß
Heidrich nun aus der Menge der Dürerfragen eine
zu monographischer Behandlung herausgreift, die
zentrale Bedeutung für das Verständnis des Meisters
besitzt, als auch in der Art, wie sie nach soviel Zank
und Streit über das positive Glaubensbekenntnis Dürers
neu und groß behandelt wird. Das Buch ist eine
Frucht der neuen Auffassung Dürers, die mit Wölfflins
Werk einsetzt; dieses hatte die romantischen Vor-
stellungen, von denen das traute Bild des altdeutschen
Meisters umflossen war, mit starker und kühner Hand
abgestreift, hatte an Stelle des Malers und Stechers,
der in beschaulicher, heimatlicher Enge sein Hand-
werk betrieb, den Künstler gesetzt, dessen Formen-
welt die Synthese der großen künstlerischen Strömungen
seiner Zeit darstellt. Dieser reicheren Künstlerschaft
wuchs nun auch eine bedeutendere Menschlichkeit zu;
die Frage nach Dürers Stellung zu den Glaubens-
kämpfen ist nicht mehr ein Haschen nach einzelnen
mißdeutigen Bekenntnisworten und ein wörtliches
Auslegen von Bildstoffen, sondern sie führt dazu, zu
zeigen, wie die gewaltige Geistesbewegung, die auch
die Reformation nicht restlos zu fassen vermochte,
im Werk Dürers eine dem Werk Luthers kongeniale
Fassung gefunden hat. Keine Illustrationen zu der
neuen Literatur, die von Wittenberg wie ein Sturm-
wind über die deutschen Lande fegte, sind die großen
Bekenntnisbilder Dürers, sondern Gestaltungen des
neuen Geistes in einem Künstler, der über das For-
male hinaus der Repräsentant seines Volkes und seiner
Zeit heißen darf. Die reformatorische Gesinnung,
aus der Dürer schuf, nährt sich auch mit von den
Reichtümern, die der Humanismus jener schicksals-
schweren Jahrhundertwende darbot, ähnlich und doch
ganz anders wie bei Melanchthon. Wie sehr er am
Humanismus Anteil hat, ist uns ein anderer Frühge-
storbener, Karl Giehlow, tiefer aufzuklären schuldig
geblieben; dennoch ist unzweifelhaft, daß diese un-
geheure Befruchtung des nordischen Geistes — ebenso
wie ihr kirchliches Widerspiel und Geschwister — in
Dürer den künstlerisch bedeutsamsten Ausdruck ge-
funden hat. Aber beide geistigen Hochspannungen,
deren Kräfte in Dürers Schaffen wirksam sind, drücken
sich eben in den künstlerischen Eigenschaften seiner
Werke aus, sind in ihnen zu Form umgesetzt; so
führt diese Auffassung nicht zu einer kulturgeschicht-
lichen Kunstgeschichte zurück, die neben den künst-
lerischen Problemen herläuft, denn sie verleugnet die
Erklärung der Dürerschen Formentwicklung aus inneren
Notwendigkeiten, aus der Verbindung deutscher und
italienischer Elemente, aus dem Ringen gotischen und

modernen Form willens, aus dem Konflikt natura-
listischer und konstruktiver Bemühungen keineswegs,
sondern verleiht jener Erklärung Reichtum und größere
Bedeutung.

Diese Prinzipienfrage, wie weit die künstlerische
Entwicklung von inneren Kräften getrieben sei, ob
also die neuen Formen dem eigenen Gesetz ge-
horchend aus den vorangegangenen herauswachsen
oder ob diese Veränderungen von äußeren Kräften,
von kulturellen Einwirkungen verschiedener Art ab-
hängig seien, diese Frage wurde nun für Heidrich
um so wichtiger, als er sich von der Behandlung
monographischer Themen zur Darstellung großer kunst-
geschichtlicher Zusammenhänge wandte: in zwei rasch
aufeinander gefolgten Bänden (Jena 1909 und 1910) hat
er die »altdeutsche« und die »altniederländische Ma-
lerei« in ihren Blüteperioden zu schildern unternommen.
Die Verschiedenheit der beiden nebeneinander ge-
arbeiteten, im Gesamtplan ganz übereinstimmenden
Bücher ist auffallend. Nicht nur daß in dem »alt-
deutschen« Buche eine herzliche Wärme lebt, die
glückliche Wendungen von einer beinahe naiv volks-
mäßigen Kraft prägt, während in dem »altnieder-
ländischen« Bande dieser Goldton wie zu feinem
Silberglanz abgedämpft ist und die Darstellung schärfer,
bestimmter, kühler erscheint, sondern es drückt diese
Verschiedenheit der Gesamlstimmung vielmehr einen
tiefer gehenden, prinzipiellen Unterschied aus. Im
ersten Buch traten die im engeren Sinne künstlerischen
Fragen fast gänzlich zurück; die geistigen und gesell-
schaftlichen Voraussetzungen des künstlerischen Schaf-
fens in den beiden so verschiedenen Hälften des
fünfzehnten Jahrhunderts wurden dargelegt und dann
das Wesen der neuen Kunst aus dem neuen Geist
des sechzehnten Jahrhunderts erklärt, als dessen Rück-
grat ihm —den eigenen früheren Sonderuntersuchungen
entsprechend — die Reformationsgesinnung erschien.
Dürer war der natürliche Mittelpunkt der altdeutschen
Malerei, ihr Endziel, da ja der Geist, aus dem er
schuf, die reife Frucht ihrer Geistigkeit gewesen ist.
Ganz anders ist die altniederländische Kunstblüte ge-
schildert; die kulturellen Momente schrumpfen zu
Faktoren zweiten Ranges ein und die stilistischen
Veränderungen werden aus inneren Notwendigkeiten
erklärt, meisterlich etwa das Herauswachsen der Ro-
gierschen Formenwelt aus dem Stil der van Eyck
gezeigt. Diese Verschiedenheit der Behandlung ist
in der Verschiedenheit der Aufgabe begründet. In
der niederländischen Malerei vom Genter Altar bis
zum Einsetzen des Romanismus liegt eine geschlossene
Formentwicklung vor; Generation um Generation ar-
beitet Schritt für Schritt an den malerischen Aufgaben,
jede Wandlung ist in den vorangegangenen Formen
ausreichend begründet, so daß deren kritische Unter-
suchung allein zu der überzeugenden Folgerichtigkeit
vordringen kann, die die historische Wahrhaftigkeit
ist. In der altdeutschen Malerei fehlt solche Einheit-
lichkeit durchaus; von burgundischen, niederländischen,
italienischen Einflüssen hin- und hergezerrt, von kraft-
vollen Ansätzen zu lahmem Schulbetrieb herüber-
schwankend, von überragenden Individuen auseinander-
 
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