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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

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Voigtländer, Emmy: Ein Beitrag zu dem Bildnis der Sammlung Czartoryski
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https://doi.org/10.11588/diglit.6190#0247

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Ein Beitrag zu dem Bildnis der Sammlung Czartoryski

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der Zeichnung zur Mailänder Leonardo - Schule wohl
außer Frage. In dem Material der Zeichnungen
aus dem Kreise Leonardos wäre also der Anschluß
zu suchen. Am nächsten kommt sie dem schönen,
nach rechts niederblickenden Frauenkopf in Windsor,
Rosenberg, Leonardo da Vinci, Abb. 79, die wohl
eine gesicherte Zeichnung Boltraffios ist, da sie schon
Carotti, Le Gallerie Nazionale Italiane, Band IV, S. 306
als genaue Vorstudie zu den Madonnen der Slg. Crespi
und Loeser1) anführt. Der Vergleich der beiden in
Rede stehenden Zeichnungen ergibt wohl den Ursprung
von einer Hand, die außerordentlich feinfühlig und
subtil den zartesten Nuancen der Modellierung nach-
geht und einen großen Reiz in dem Gegensatz loser,
weicher Haare und den glatteren Flächen der Haut
findet. Sehr nahe stehen die beiden Zeichnungen
an Qualität Leonardo selbst, doch halten sie immer-
hin diesen allerhöchsten Maßstab nicht ganz aus, sind
aber wohl in ganz nahem Schülerverhältnis zu Leo-
nardo entstanden. So kann man denn auch rück-
schließend mit größter Sicherheit sagen, daß das Kra-
kauer Bild nicht Leonardo, sondern, wie die Zeich-
nung, Boltraffio angehört, so erklärlich es auch ist,
daß der Name des Meisters damit verknüpft wurde.
Aber es ist über dem feinen durchgeistigten Kopf
nicht zu übersehen, daß der Aufbau des Ganzen
Schwächen hat, die für jenen unmöglich sind. Daß
den Lombarden »durchaus der Sinn für das Architek-
tonische fehlte« (Wölfflin), zeigt sich auch in diesem
Bild. Die ganze Gestalt drückt sich ziemlich un-
sicher in die linke Bildecke, der das Tierchen tragende
Arm ist auffallend schwach und körperlos; denkt man
an die sichere Art, wie bei der Mona Lisa der Körper
und der Kopf darauf architektonisch enwickelt sind,
so wird das Fehlende in dem Krakauer Bild wohl
klar sein.

Noch Einiges wäre über die Zuschreibung an
Preda zu sagen. Auch hier ist die Zeichnung aus-
schlaggebend, bei der wohl kaum der Gedanke an
Preda auftauchen würde. Sie paßt denn auch gar
nicht zu den von Seidlitz in der angeführten Ab-
handlung über Preda zusammengestellten Zeichnungen,
in diesen zeigt sich durchweg die gröbere Hand;
die übertrieben scharfe Zeichnung der Augen, die
stärkeren Unterschiede von Licht und Schatten trennen
diese Stücke von den bisher angeführten, viel feineren
Zeichnungen Boltraffios, wie von seinen Bildern.
Besonders zum Vergleich geeignet sind die Frauen-
köpfe in Windsor, Fig. 17, Rosenberg Abb. 100, und
in den Uffizien, Fig. 8, Rosenberg Abb. 103, da sie
zu den besten Predas gehören. Nach diesen Kriterien
sind die beiden Künstler leicht zu scheiden. So ist
wohl die schöne Zeichnung der Uffizien Nr. 425,
Rosenberg, Abb. 102, aus dem Werk Predas, in das
sie Seidlitz vermutungsweise versetzt (Nr. 55), heraus-
zunehmen und Boltraffio zu geben2), während um-

1) Abb. Venturi, Slg. Crespi, Milano 1900. Tafel zu
S. 238 u. 239. Ebenso wird sie als Boltraffio von Gronau,
a. a. O. und Seidlitz a. a. O., S. 30 erwähnt.

2) So auch Carotti in seinem Verzeichnis der Werke
Boltraffios, Le Gallerie Naz. Italiane.

gekehrt die von Gronau Boltraffio zugeteilte Zeichnung
der Ambrosiana, Rosenberg, Abb. 94 (wie auch von
Seidlitz S. 28) Preda zuzuweisen ist. Bei der gleich-
falls von Gronau angeführten Zeichnung in Windsor,
Rosenberg Abb. 98, neigt sich die Wage nach Ab-
zug der großen Überarbeitung doch mehr Boltraf-
fio1) zu.

Nach all diesem ist die Stockholmer Zeichnung
wohl eine willkommene Stütze der Zuschreibung des
Krakauer Bildes an Boltraffio. Auch für seine zeit-
liche Entstehung gibt sie einen Anhalt. Sie weist
es in die Gruppe der Werke Boltraffios, die seinen
ersten Stil2) bilden und in der ersten Hälfte der
neunziger Jahre entstanden sein müssen, als er noch in
engerer Gemeinschaft mit Leonardo arbeitete. Diese
Bilder und Zeichnungen, wie die Madonna der Samm-
lung Crespi und ihre Studie, der Narziß der Uffizien
(Alinari 4600), die Zeichnung der Uffizien Nr. 425,
haben alle mit dem Krakauer Bild die unendliche
Feinheit der Modellierung in den leisesten Über-
gängen gemein. Denkt man sich nun noch die Haar-
tracht des Bildes ungefähr wie in der Zeichnung
ausgeführt, so wird diese Zugehörigkeit noch klarer.
In dem Umspielenlassen zarter Gesichter von losen
Haaren zeigt sich der Einfluß des Geschmacks von
Leonardo, den dieser im Porträt auch noch bei der
Mona Lisa festhält. Zu dem späteren, selbständigeren
Stil Boltraffios würde das Krakauer Bildnis nicht mehr
passen. In diesem trifft ein kräftiges Licht vollere
und reifere Formen, die subtile Modellierung ist auf-
gegeben zugunsten breiterer, schärfer von Hell und
Dunkel geschiedener Flächen. Die Haare werden als
schwere, rahmende Masse behandelt.

Diesem zweiten Stil Boltraffios würde auch das
andere ihm zugeschriebene Bildnis gehören, das der
sog. Belle Feronniere8) im Louvre, mit dem man sich
auseinandersetzen muß, wenn man beide Bilder dem-
selben Künstler zuweisen will. Dies bietet auch keine
Schwierigkeiten, wenn man beachtet, daß der künst-
lerische Unterschied der beiden Bilder derselbe ist,
wie zwischen den Werken der ersten und denen der
zweiten Kunstweise Boltraffios, die durch die Madonna
Casio im Louvre von 1500 belegt ist und der die
drei Madonnen der Sammlung Poldi Pezzoli in Mai-
land, in Budapest und in der Nationalgalerie in London
vorausgehen. (Alle drei offenbar nach dem gleichen
Modell gemalt.) Die Belle Feronniere ist denn auch
eher nach als vor 1500 entstanden4) zu denken, die,
wenn auch subtile, doch breitflächige Modellierung
beweist das. Von dem Krakauer Bild trennen sie an
die acht bis zehn Jahre künstlerischer Weiterentwick-
lung. Immer ist daran zu denken, daß die Haar-
tracht des Krakauer Bildes im jetzigen Zustand die

1) Seidlitz: Preda, Fig. 11.

2) Vergl. Seidlitz, Leonardo I, S. 275.

3) Von Seidlitz, Leonardo I, S. 276, wo ausführlich
die Gründe dargelegt werden, aus denen es Leonardo nicht
angehören kann. Dort auch die Literatur. Außerdem
von Pauli, Thieme-Becker, Künstlerlexikon, Bd. IV.

4) Seidlitz, Leonardo I, S. 278, setzt sie in die zweite
Hälfte der neunziger Jahre.
 
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