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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

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Panofsky, Erwin: Das perspektivische Verfahren Leone Battista Albertis
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https://doi.org/10.11588/diglit.6190#0263

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507
_i

Das perspektivische Verfahren Leone Battista Albertis

508

inzwischen von der Grundlinie des Bildvierecks die
Rede gewesen ist]. Dann setze ich fest, wie groß
die Distanz des Auges vom Bilde [sc. der Bild-
ebene] sein soll, und zeichne dort, wie die Mathe-
matiker sagen, ein Lot, das sich mit den von ihm
getroffenen Linien schneidet. Ein Lot nennt man eine
Gerade, die eine andere Grade so schneidet, daß zu
beiden Seiten rechte Winkel entstehen. Dies so be-
schaffne Lot zeigt mir da, wo es von andern Linien
geschnitten wird, die Abfolge der Transversalen. Und
so finde ich alle Parallelen, das heißt die ellengroßen
Quadrate des Bodens, im Gemälde beschrieben; und
ob sie richtig gezeichnet sind, werde ich daran er-
messen, daß eine einzige Gerade die Diagonale für
mehrere der im Bilde gezeichneten Quadrate bildet.

Diagonale heißt bei den Mathematikern eine Ge-
rade, die, von einer Ecke zur andern gehend, ein
Viereck in der Weise teilt, daß zwei Dreiecke daraus
entstehen. Habe ich das getan, so ziehe ich im Bild-
viereck parallel zur Basis eine Querlinie, die durch
den Zentral (Augen) punkt von der einen Seite des
Bildvierecks zur andern läuft und es teilt.......

Und weil diese Linie durch den Zentralpunkt geht,
nenne ich sie Zentrallinie [sc. Horizont].

io voglia distantia dall'occhio alla pictura, et ivi
segnio, quanto dicono i mathematici, una perpen-
diculare linea tagliando qualunque truovi linea. Dicesi
linea perpendiculare quella linea dritta quäle tagliando
un'altra linea diritta fa appresso di se di qua et di
qua angoli retti. Questa cosi perpendiculare linea,
dove dall'altre sara tagliata, cosi mi darä la successione
di tutte le traverse quantitä. Et a questo modo mi
truovo descripto tutti e paralleli, cioe le braccia
quadrate del pavimento nella dipintura; quali quanto
sieno dirittamente descripti ad me ne sara inditio se
una madesima ritta linea continovera diametro di piü
quadrangoli descripti alla pictura.

Dicono i mathematici diametro d'uno quadrangolo,
quella retta linea da uno angolo ad un'altro angolo,
quäle divida in due parti il quadrangolo per modo,
che d'uno quadrangolo solo sia due triangoli. Fatto
questo, io descrivo nel quadrangolo della pictura ad
traverso una dritta linea dalle inferiore equedistante,
quäle dal uno lato all'altro passando su pel centrico
punto divida il quadrangolo...............

Et questa perche passa pel punto centrico dicesi
linea centrica.

Dieser Text, dessen Form zweifellos etwas um-
ständlich ist, darf gleichwohl erst dann als unklar
oder gar als korrumpiert bezeichnet werden, wenn
auch sachliche Bedenken gegen ihn anzuführen wären;
d. h. wenn sich in seinen positiven Bestimmungen
wirkliche Lücken, Unrichtigkeiten oder Widersprüche
nachweisen ließen.6) Solange das nicht geschehen
ist, haben wir die Pflicht, die überlieferten Angaben
als maßgebend anzuerkennen und damit das Recht,
jede Deutung, die sich mit diesen Angaben in Wider-
spruch setzt, abzulehnen.

I.

Die »Distanzpunktkonstruktion«, auf die sich
Albertis Text nach der Ansicht Wieners, Janitscheks
und Kerns beziehen soll, wird folgendermaßen aus-
geführt:

Ich gebe mir auf der Bildfläche einen Augen-
punkt A, und die Vor-
derseite des zu kon-
struierenden Grund-
quadrats (als die ich, des
leichteren Vergleichs
mit dem folgenden
wegen, die Grundlinie
des Bildvierecks an-
nehme); ich nenne sie
a b und teile sie durch

5) Daß dieser Nach-
weis auch von Kern nicht
geführt worden ist, hoffen
wir unten (siehe beson-
ders die Anmerkungen 8
und 10) gezeigt zu haben.

die Punkte c d e f in gleiche Stücke. Die Verbindungen
von A mit a b c d e f ergeben mir die Ortho-
gonalen. Nun trage ich die »Distanz« (sc. die Ent-
fernung des Auges von der Bildebene) auf dem durch
A gelegten »Horizont« von A aus bis D ab und ver-
binde D mit a.

Durch die Schnittpunkte dieser Linie mit den
Orthogonalen lege ich Wagerechte, die zusammen
mit den letzteren das gesuchte Quadrat und seine
Teilquadrate bezeichnen (Fig. 1). —

Diese Konstruktion als mit der von Alberti an-
gegebenen identisch zu betrachten, erscheint zunächst
deshalb unmöglich, weil nach Alberti die Abfolge
der Transversalen an den Schnittpunkten eines Lotes
abgelesen werden soll, während beim Distanzpunkt-
verfahren die Intervalle auf der Linie D a sich ab-
tragen und eine Senkrechte überhaupt nicht vor-
kommt. Wenn Kern, der sich dieser Schwierigkeit

nicht unbewußt ist, eine
»Verwechslung zwi-
schen der Linie D a
und der Senkrechten«
annimmt, so ist einmal
dagegen einzuwenden,
daß Alberti das Lot
nicht etwa beiläufig er-
wähnt, sondern aus-
drücklich und um-
ständlich den Be-
griff der »Senk-
rechten« definiert,
was er sicher nicht
getan hätte, wenn ihm
ein Verfahren im Sinne
 
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