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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

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Weizsäcker, H.: Zum Gedächtnis Viktor Moessingers: geboren 8. Oktober 1857, gestorben 9. August 1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.6190#0297

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Zum Gedächtnis Viktor Moessingers

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der »Holländischen Waisenmädchen«, 1902 der eines
Leibi, und zwar wieder eines Hauptwerkes, des »un-
gleichen Paares« vom Ammersee. Die Erinnerungen, die
sich an diese Anfänge knüpften, gehörten für Moessinger,
wie er oft gesagt hat, zu den schönsten seines Lebens;
die Jahre, die sie füllten, waren belebt von einem
Gefühl der Hoffnung, wie dem, mit welchem der
Anblick einer aufgehenden jungen Saat erfreut.

Den wichtigsten Gewinn jener Jahre aber bildete
ein zunehmendes Vertrauen, das die Bürgerschaft und
endlich auch die städtischen Behörden zu der neuen
Gestaltung der Dinge faßten. Es zeigte sich in dem
vermehrten Zufluß freiwilliger Geldspenden, die 1905
sogar den Ankauf eines umfangreichen Rembrandt-
schen Gemäldes, der »Blendung Simsons«, ermög-
lichten, in der Überweisung von Legaten, wie der
Schaubschen und der Pfungstschen Stiftung, vor allem
aber darin, daß nun auch die Stadt aus ihrer früheren
Zurückhaltung heraustrat. Bekannt sind die Be-
mühungen des damaligen Oberbürgermeisters Adickes,
die schließlich zu der Begründung eines neuen, ver-
waltungstechnisch mit der alten Städelschen Stiftung
nahe verbundenen Städtischen Museums führten, das
seine Bestände in einem überraschend schnellen und
vielseitigen Wachstum auszubauen wußte. In allen
diesen Entwicklungsvorgängen bildete Moessingers be-
ratende, vermittelnde oder auch energisch zugreifende
Tätigkeit auch jetzt wieder eine von allen Beteiligten
gleich dankbar gewertete Unterstützung. Diese wuchs
noch an Bedeutung, nachdem ihm im Jahre 1910 das
Ehrenamt eines unbesoldeten Stadtrats anvertraut wor-
den war, das seine Arbeitskraft zwar auch nach zahl-
reichen anderen Seiten des städtischen Haushaltes, wie
namentlich der Finanzwirtschaft, in Anspruch nahm,
ihm aber doch noch Zeit ließ, um auch in der
weiteren Ausgestaltung des Museumswesens mitzu-
wirken, und zwar nunmehr in der Eigenschaft eines
Magistratsdeputierten, sowohl in der Kommission für
die neue Städtische Galerie, als auch in der für
Kunst- und Altertumsgegenstände. So war er auch
beteiligt an den Verhandlungen mit der Administration
des Städelschen Kunstinstituts, die eine teilweise Ver-
einigung von deren Kunstbesitz mit dem städtischen
in dem durch einen Anbau zu erweiternden Städel-
schen Galeriegebäude bezweckten, und damit die Aus-
sicht auf eine ebenso notwendige als dankbar be-
grüßte Neuerung eröffneten. Ebenso begleitete er
aber auch die Neuerwerbungen der städtischen Samm-
lungen, namentlich die des im Liebighause aufge-
stellten Museums, mit altgewohnter Teilnahme und
überdies, wie er stets gewohnt gewesen, mit nam-
haften finanziellen Beihilfen. Mit ganzer Seele hing
er an diesen Aufgaben, und einzelne der damit ver-
bundenen Verhandlungen versetzten ihn in eine ge-
radezu fieberhafte Spannung.

Bei der Entfaltung eines solchen praktischen Eifers
konnte es manchmal scheinen, als ob der Geschäfts-
mann und der Organisator in ihm den Sieg über den
Kunstliebhaber davongetragen hätte. Allein die Frage
nach den reinen künstlerischen Werten bildete für ihn
» im Grunde doch immer das Hauptproblem, ja in dem

Maße seiner inneren Anteilnahme konnte der Näher-
stehende zuweilen geradezu ein unbewußt ausge-
sprochenes künstlerisches Bekenntnis wahrnehmen, wie
dies namentlich bei zweien der unter seiner kauf-
männischen Mitwirkung erworbenen Werke zutraf,
dem großen Rembrandt und dem Alabasteraltar aus
Rimini. Ein starker Wirklichkeitssinn, verbunden mit
einer leicht erregbaren dichterischen Empfänglichkeit,
waren die hauptsächlichen Organe, mit denen er sich
künstlerischer Eindrücke zu bemächtigen pflegte. Da-
für war auch die kleine, aber gewählte Sammlung
neuerer Bilder bezeichnend, mit denen er sich in
seinem eigenen Hause umgeben hatte. Thoma, Trübner,
Lugo, Scholderer, Röderstein und Böhle waren da in
ausgesuchten Stücken zu finden, daneben auch einige
ganz moderne Franzosen. Diese letzten konnten zugleich
an den Weitblick erinnern, der ihrem Besitzer von den
Kollegen in der städtischen Verwaltung in seinen amt-
lichen Maßnahmen nachgerühmt wurde, mit dem er
aber ebenso auch die künstlerischen Dinge übersah.
Der schöne Sisley, der als seine Stiftung im Städel-
schen Institut hängt, war wohl, von Tschudis Berliner
Ankäufen abgesehen, das erste impressionistische Bild,
das in eine deutsche Sammlung gelangt ist. Später
fügte er diesem das Porträt des Dr. Gachet von
van Gogh hinzu. Er war sich nicht im Unklaren
darüber, daß er namentlich mit dieser letzten Schenkung
in der Öffentlichkeit angegriffen werden könnte. Allein
die Unmittelbarkeit, mit der diese Art von Seelen-
schilderung ohne alle Mittel das einfach Menschliche
gibt, hatte es ihm angetan. Überflüssig zu sagen, daß
ihm alle Modetorheit fernlag, wenn er sich darauf
einließ, die künstlerische Eigenart auch eines fremden
Volkscharakters ohne Voreingenommenheit gelten zu
lassen. Es mußte nur in irgend einer Form das
persönliche Erlebnis für ihn darin gegeben sein.

Und doch war letzten Endes sein Verhältnis zu
der Welt des künstlerischen Gestaltens nicht im Per-
sönlichen begründet und noch weniger darauf be-
schränkt. Er war zu sehr an politisches und soziales
Denken gewöhnt, als daß ihm ein Besitzen oder Ge-
nießen nur für sich selbst hätte genügen können. Er
war der Ansicht, daß jeder künstlerischen Tat ein
sittlicher Grundgehalt innewohne und daß darum auch
von jedem wahren Kunstwerk ein erzieherischer Ein-
fluß auf den gesamten Volkskörper übergehen könne
und müsse. Davon ausgehend sah er sich tief in
die Frage hineingezogen, wie einem jeden, ohne
Unterschied des Standes und der Bildung, die Welt
des Schönen zugänglich zu machen sei. Er hat dabei
der Wirkung des künstlerischen Elements vielleicht
etwas zuviel vertraut, oder wenigstens mehr, als sich
aus der unmittelbaren Erfahrung rechtfertigen läßt,
allein dieses Zuviel war von den sittlichen Grundlagen
seines eigenen Wesens nicht zu trennen. Er glaubte an
den Sieg des ewig Guten in jeder Gestalt, auch in
der künstlerischen Erscheinung, und an ein unabänder-
liches Gesetz des Werdens, das in allen Dingen mit
Notwendigkeit zu diesem Endergebnis hinführt.

Schwer mußte bei einer solchen Idealität der Welt-
und Lebensanschauungen der gegenwärtige Krieg
 
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