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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,2.1928

DOI Heft:
Heft 9 (Juniheft 1928)
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Hofmiller, Josef: Die Wieskirche bei Steingaden
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https://doi.org/10.11588/diglit.8884#0179

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wieder siehL man sie zum erstenmal. Alles ist Raum, nach oben wird alles
Bewegung. Die Pfeiler recken sich auf in fchier vulkanifchem Drang. Daß
ihrer immer zwei gekuppelk sind, verftärkt das Strebende. Sie eckig zu machen,
war ein glänzender Einfall; von den runden Säulen Nenmanns in Nrreshxjrn
gleiket das Äuge ab zur rückwärtigen Wand. Zum erftenmal versuchk der
junge Zimmermann je einen Pfeiler in der württembergifchen Wallfahrts-
kirche Steinhauscn; aber dort sind sie fchwerer und die Bogenwölbungen enger.
Erft in der Wies findet der alte die letzte Leichtigkeit: immer je zwei fchmal
nebeneinander, wie in Neresheim, aber eckig, wie in Steinhausen. Ietzk fchie-
ßen sic fchlank in die Höhe wie Springbrunnen, und alles ringsum fchwebk in
Schwung und kreift nach vorwärts; die Außenwand, die durch die Pfeiler ge-
fchaffene ideale Innenwand; oben wälzen sich die Bögen hinkereinander her
wie Kämme von Wogen, wie rollende Räder. Die Decke aber fchwingt be-
sänftigend nach innen zu. Durch dieö dreifache Schwingen fcheink der obere
Teil in unaufhaltsamer Bewegung. Beftändig verfchieben sich die oberen Ösf-
nungen: eine i n die andere, über die andere, durch die andere. Alles ift wie
aufgelöft in jubelndem Reigen. Die Bewegung der Wände rückt langsam,
während die Bögen rafcher zu rollen fcheinen und die Decke ftekig einwärks guillt.
Dies dreifache Bewegungsmotiv war nur mit der unruhigen Grundform des
Ovals zu erreichen, das sich mit jedem Schritt verfchiebt. Die köstliche Unruhe
wird noch unterftrichen dnrch die Abwechslung der Bogenbreiten; es ift, wie
wenn sich der Reigen der Pfeiler selbft bewegte und die wcikergespannten Bögen
von den ftrafferen mi'tgefchleudert würden, wie wenn bei einem Kinderreihen
die Kette zu reißen droht. Im Oval fand Zimmermann die letzke Form des
Rokoko für die Verfchmelzung von Langhaus und Rundbau. Die Bogenformen
aber sind jenseits alles Rokokos, ftiliftifch überhaupt nicht mehr einzuordnen, an
der Grenze des Formlosen, wie Fruchtfleifch von Orangen. Diese Pfeiler sind
lebendiger als Säulen; sie ftreben gewaltig nach rechts und links, als ftreckten
sie Arme aus, als wollten sie zur Wand zusammenrücken. Unwillkürlich setzt
das Augc alle Linien fort, sozusagen punktiert, zur Ruhe kommt es erft in der
Mitte. Die Decke ift wie offener Himmel: weiße Brüftungen ftreben empor
und grüne Bäume, Wolken und Engel fchimmern im seligen Blau, alles ist
in Bewegung, weiße Statuen, bunte Geftalten, Engel, flatternde Gewänder,
zeigende, deukende, beteuernde Arme. Fessellos ift alles und alles gebändigt:
Raum, Licht, Farbe, Formen, Linien. Sogar die Anordnung der Fenfter wie-
derholt in der umfchließenden Wand den Rhythmus des inneren Pfeilerum-
laufs. Unmöglich kann man lange ruhig ftehenbleiben in dieser Kirche; man
hat das Bedürfnis, sich durch eigene Bewegung von ihrer Bewegung zu über-
zeugen, durch eigene Bewegung die künftlerifche Bewegung ihrer Bauglieder
in jedem Augenblick neu zu fchaffen.

Aber wir wollen vcrsuchen, Zimmermanns Plan kühl nachzurechnen: Haupt-
raum eine Längsellipse, Altarraum ein Rechteck mit rundem Schluß. Als
Träger des Dachs freistehende Doppelpfeiler, vier Paare auf jeder Seite.
Dadurch entfteht ein ellipkifches Seikenfchiff. Ietzk fängt er an, den Raum
zu zerlegen: rechts und links in die Mitte der Langseiten stellt er einen Jlltar,
hinten die Sängerbrüftung, vorn der Chor. Daraus ergibk sich von selbsi die
Stellung der Pfeilerpaare: das ersle und zweite vorn an den beiden Schnikt-

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