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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,2.1928

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Heft 11 (Augustheft 1928)
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Tribüne
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https://doi.org/10.11588/diglit.8884#0379

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Dichters, dcs Dichters schlechchin wlrken zu allen Zeiten, weil es eine unverllerbare,
eine urtümliche Aufgabe und Berufung in sich trägt. Nur wer dies erkennt und an-
erkennt, vermag auch die i'mmer wieder, wenn auch heute seltener, in die Welt
gestellte Gestalt des wirklichen Dichters zu erfassen. Dessen Eigenschaften denen
des Propheten verwandt sind, dessen Wesen blutvoll aus der Krast mütterli'chen
Bodens sich nährt, dessen Seele zugleich den Einbruch eines Oberen, das Wehen
des Pneumas verspürt. Jmagination und Jnspiration sind die beiden Grundkräste
jedes „Boten der Götter". Wie i'mmer liegt di'e erschütterndste Kraft außerhalb
des eigenen BezirkeS, ist die Sendung des Dichters nicht im Dichterischen selbst,
sondern außerhalb selner am tiessten begründet. Dieses Gesetz, das Gesetz jeglichen
echten Wirkens, macht begreislich, daß gerade der große Dichter der Derufung
des Religiosen, des Propheten nahekommt. Symbolisches Tun gilt auch hier als
der Grundzug jedes echten Handelns. Ohne den WesenSunterschied von Propheten-
tum und Dichteramt verkennen zu wollen, den Wesensunterschied auch vom Reli-
giosen an sich, wie er im Heiligen, sei er Mönch oder Laie, sei'nen Gipfel findet,
und dem Dichter, wo immer wir die Größe seiner Gestalt erblicken, sinden wir ihre
letzte Wirkungskraft in einem Jenseitigen begründet. Das Dichterische bleibt allein
Medium, Ausdrucksart, Mittel. Jmmerhin nicht zufälliges, sondern notwendiges
Mittel. Jhm wurde das Wort gegeben wie uns allen. Er aber nimmt es urkräftig
und urtümlich aus. Es enthält ihm die ganze Schöpfung, die, wie Augustin sagt,
ein „Gedicht" ist, ein magnum csrmsn inellabilis moänlstoris. Er „buchstabiert"
die Welt. Er gibt die Ur°Zeichen, die geheimnisvollen Matern, die sichtbaren
Prägungen des Unsichtbaren wieder in der Spiegelung der Sprache, der Lauk-
Wiedergabe des Schweigenden. Jm Abglanz des ungeschasfenen Wortes dars er
alles Geschassene deuten, loben und verklären. Dars es, wie Claudel sagt (dessen dich-
terisches Zentrum wir in alledem berühren), weihen und darbringen einem Höheren,
sich selbst in dieser Hingabe dem Absoluten össnen, niederlegend alles, was an
Lust und Leid sein Leben ersüllte. Opser ist der Sinn des menschlichen Tuns, auch
des Dichtens. Grenze und Tiefe des Dichters ist hierin eingeschlossen.

Schauen wir nun auf die Gestalt deS Dichters selbst, ihn, der initten in unserer
flachen Zeit lebt und wirkt, ein sichtbares Zeichen ewiger Kräste. Wer ist er?
Warum Paul Claudel? WaS soll unö dieser katholische Dichter, dieser Romane
und Latinist! Es wird nicht leicht sein, zu antworten. Wie soll man im Wirrwarr
heutiger Tagesmeinungen auf diese Gestalt hinweisen, die ein Charles Louis
Philippe mit Dante verglich? Wie inmitten enger Konfessionalität oder noch eng-
herzigerer Ablehnung anderer Religiosität, wie inmitten artistischer und intellek-
tualer Literaturmacherei aus diese einsache und granitene Gestalt hinweisen? UnS
Deutschen scheint aus allen Seiten der Zugang zu diesem Dichter erschwert. Sprach-
lich: sein Werk verlangt schon sür den Franzosen Konzentration, innerliches Auf-
merken, ja Studium. Gei'stig: dem Heidentum unserer Zeit stellt Claudel nicht in
Abkehr, sondern voller Zuwendung eine gott-bezvgene Welt entgegen, geboren
auS den Krästen und Tiefen christlicher Philosophie, christlicher Mystik, christlicher
Weisheit und Klarheit. Theo-logie, Wort von Gott, Rede und Lehre vom Wirklichen
ist der Grund seiner Poesie. Seelisch: welche äschyleische Haltung, adlig, heroisch;
welche Latinität; panische und dionysische Freude unter der Zucht apollinischen
Maßes, doch zugleich bruchlos vereint mit schlichter Demut, ehrsürchtigem Schweigen
und Warten vor Gott. Nun, der Versuch des Hinweises ist des öfteren geschehen.
Auch in Deutschland. Jch erinnere nur an Ernst Robert Curtius mit dem vor-
tresslichen Kapitel über Claudel in seinem Buche „Die Wegbereiter des neuen
Frankreich". Aber Hinweise genügen nur halb. Wer ahnt den Neichtum Claudels,
wer seine religiöse Tiese, wenn er nicht das ganze Werk durchforscht hat! Man
wird überrascht sei'n, wie dieser Dichter kn das Herz der Dinge zu sehen vermag,

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