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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,2.1928

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Heft 11 (Augustheft 1928)
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Tribüne
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https://doi.org/10.11588/diglit.8884#0380

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wie er ungelrübt >m Zeillichen das Zeitlose verknndet. „Christlich" und „katholisch"
— wer diese Worle, die Clandel rechlmäßig ehrcn, nach dem flachen Sinn Les
Spenglerischen Abendlandes nur zn begreifen gewohnt ist, verkennt das Wesen
des französischen Dichkers. Obmohl man Claudel, will man ihn ganz verstehen,
nur von innen her, von seinem kal-holischen Glanben begreifen muß, so wäre es
Jrrlum und allzu billig, ihn danach zu rubrizieren. Jn diesem Sinne gibl es weder
einen „katholischen" noch einen „christlichen" Dichler. Es gibt nur den inspirierlen
oder den magischen Dichler, beide unlrennbar, beide „Zeichen" und „Person", das
ist die Slimme, durch die Golles Wort hindurchlönt. Es bleibl einer Sonderunler-
suchung vorbehallen, wie sich diese beiden Kräfle, die ich oben Jmaginalion und
Jnspiration genannt, im Konkrelen und Emzelnen wirklich verhallen. Claudel
aber ist ein Beispiel für die fast restlose Derelnigung der Antike und des Christen-
lums, des Schauens und des Denkens, des Naiven und Sentimenlalischen oder
Pietätvollen (nach Wust), ein Beispiel für die organifche Vermählung erdhafter
Blickkraft und geisthafter Bildkraft. Claudel, der antik-christliche poietes, zeugt in
seinem ganzen Werk von der Vereinigung des ungeschaffenen mit dem geschaffenen
Worle.

II

So schwer uns Deutschen der Weg zu Claudel sein mag, wir müssen ihn gehen,
wollen wir uns nicht abschließen von einer der seltenen ganz großen Gestalten,
die das Christentum in unseren Tagen noch immer gebiert. Die Möglichkrit des
Weges auch für den, der die notwendige SprachkenntniS des Französifchen nicht
besitzt, besteht schon seit mehreren Jahren. Jakob Hegner hat still und bisher kaum
bemerkt fast das gesamle Werk Claudels m seinem Hellerauer Verlag in zum
Teil unerreichlen Übersetzungen herauögebracht. Mehr noch: es erschien wiederum
bei Hegner kürzlich ein Buch über den französischen Dichter: Paul Claudel
von Robert Grosche. Ohne Übertreibung darf man dieses Buch Grosches,
der dank seiner theologischen Bildung und einer bewundernswerten Fähig-
keit synthetischer Analyse Claudels Gestalt wesentlich, d. i'. metaphysisch geschaut
hat, als den bisher vollständigsten und klarsten Deutungsversuch ansprechen. Jn
sechs bedeutenden Kapiteln erhellt der Verfasser „von innen her" das vielschich-
tige Werk Claudels. Eine kurze Wiedcrgabe ersetzt nicht die Lektüre des Buches.
Wie dieseS Buch selbst nicht — sein Hauptverdienst — die Lektüre Claudels
ersetzt, sondern sie fordert. Es bleibt nun unentfchuldbar, wenn auch fernerhin in
Deutfchland nur ein ganz kleinerKreis denDichter kennt.Man muß und wird bemerken,
wie„zeitgemäß"seineWorte,Bekenntnisse,Gedanken heute zu uns sprechen, gerade zu
uns Deulschen, die wir im Chaos nach neuer Ordnung streben. Es zcigt sich die wun-
derbare, geheimnisvolle „Parallelität" des Schöpferifchen, das allerorten, mitein-
ander unbekannt, aufbricht, wie tiefe Quellen, die nur verborgen ein unterirdischer
Strom vereint und speist. Sie sind unö vorangegangen, die Einzelnen, die Seher,
Hölderlin, Nietzsche, Dostojewskij, in Frankreich Baudelaire, Rimbaud und nun
Claudel. Die Vorläufer, unsere Däter, nun erst begreifen auch wir sie, eine neue
Generation. Sie sprechen zu unS, die wirklichen Dichter. Wir begreifen und
suchen neu zu fassen den allgültigen, kräftigen, reinen Quell, aus dem sie ihre
Gedanken und Worte geschöpft. Seien wir dankbar, daß Grosche i'n gedrängter,
persönlicher, zugleich objektiver Darstellung den inneren Reichtum des Claudel-
schen Dichterwerkes unS aufzeigt. Aus langer und inlensiver Bekannlschaft hat er
dieseö so notwendige Buch gefchrieben.

Der Beginn — sogleich in mecliss rss führend — spricht von den „Ursprüngen",
nach ei'nem Worte Claudels: „Das Ziel finden, heißt den Ursprung wiederfinden."
Grofche gibt hier durchaus das Wesentliche. Er vermeidet hier wie im ganzen Buch
mil Absichl und gulem Recht daS bloß analysierende und „historische" Aufdröseln
 
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