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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,2.1928

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Heft 11 (Augustheft 1928)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8884#0381

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der literarischeri Einzelbeziehungen nnd Einzelfäden. Er gehk von den tieferen,
den geistlgen Ursprüngen anS. Die großen Repräsentanten des Christentums, die
Bäter, besonders Augustin, die Scholastik, vor allem Thomas, die Mystiker,
Pascal, „der der tvahre Apostel r»cl extsros sür die Franzosen ist", die Kirche
selbst und die Bibel, das sind die rvesenhasten Ursprünge, neben denen im Dich-
terischen dann noch die mythische Gestalt Rimbauds und die des Meisters und
älteren Freundes Mallarmt stehen. Die „Literatur" verschwindet ganz. Der Dich-
ter Claudel, den getviß auch die Antike, Orpheus, die Homeriden, die Tragiker,
Dionysos und Apollon gebildet, ist zugleich auch der Denker und Religiose, der
Philosoph und Prophet. Jm ztveitcn Abschnitt umreißt Grosche unter dem Stich-
tvort „Lpeoulritor rnunclt" die Welt-„anschauung" Claudels, die organische, bild-
hafte, platonische Blickkrast und Geistesschau, die metaphysische Naturphilosophie,
vertoandt den Borsokratikern, heraklitisch und thomistisch, synthetisch und kolum-
bisch, erobernd und entdeckend das einmal sichtbarlich und unsichtbarlich Gesehte.
Daraus entspringt Claudels dramatische Begabung, seine Aktivität, die die Welt
in irnmertvährendem Gleichgewichtskampf, in dynamischer Stabilität sieht und
ihr „Drama" als Dichter, der nicht Zuschauer, sondern sotor soonse, in groß-
artigen Folgen enttvirst und beschreibt. Scheinbar stcht diese (im dritten Kapitel
auSgesührte) dramatische Haltung im Widerspruch nn't senem Schauen. Aber
man vergesse nicht — Grosche zeigt es deutlich —, daß auch das synthetische
Denken, daö spekulative Schauen Claudels auf Aktivität, auf Dynamik ruht. Daß
auch hier die lebendige Betvegung des Atmens, des Wechsels von Stirb und Werde,
der tragende RhythmuS seines Schassens ist, daß aus der Philosophie, dem Be-
kenntnis daS Gebet und der Hyrnnos ersteigt, der welt-umfassende, welk-opsernde
Lobgesang Gottes. Eben die Welt aber ist ihm imaufhörliche Gegensätzlichkeit, die
keinen Widerspruch duldet, kein eigenmächtiges Verlassen der „Nolle", die dem
Einzelnen gegeben, die Welt als Bühne nicht von Helden und Göttern, nicht im
antiken Sinne „tragisch", sondern als Schauplatz der schwachen, irrenden, sündigen,
strebenden Menschen, die der Erlösung harren, der Stimme, die sie aus dem sür
sie wirren Gesüge des irdischen Lebens heraussührt. Claudel bejaht die Welt. Er
sieht sie als Ausgabe, die wir lösen müssen. Sieht er auch ihre „Gebrochenheit"?
Grosche zeigt in dem vierten Kapitel „Heide oder Christ", daß Claudel dichtörisch
wie gedanklich die echte Tiese des Christen, den Begriss der Sünde kennk und
erschütternd zu ossenbaren weiß. Die Verlorenheit, die Getrenntheit von Gott
durchbricht jede Sicherheit, die rein im Menschlichen liegt. Die Hybris der Mensch-
Vergottung und Gott-Verstoßung, der „Verrat" kann nicht vom Menschen allein
gesühnt werden. Auch sür Claudel ist das Kreuz mehr als ein Symbol: die
Welt selbst, ihr Tod und ihre Llberwindung. Nachdem der Dichter so metaphysisch
gesehen und geprüst wurde, kann allein der innere Grund eben seines Dichtertumes
gezeigt werden. Grosche tut es in dem sünsten, „Symbol und Wort" überschricbe-
nen Abschnitt. Wir berühren hier eins der wesentlichsten Gebiete, das Fundamcnt
jeder Poetik, wie ja auch Claudel selbst in seinem Erundbuch, der „srt poötigue"
immer wieder auf diese Worb- und Sprachdeutung, die Logoslehre, zurückkommt.
Von diesem Aspekt her begreifen wir erst, was ich eingangs von der Gestalt des
Dichters, von seiner Sendung und Berufung andeutete. Wir begreisen die letzten
Gründe und Hintergründe dieses SchassenS, wie sie Grosche im sechsten und Schluß-
kapitel wirklich „ergreisend" uns aufzeichnet: „Eros und Tod", die Lebensquelle
und das Auslöschen — „Lösch aus dieses Licht, daS mir nichtö von dir zu sehen
erlaubt als dein Antlitz". Beides ineinander, der mystische Born, der slammende
Dornbusch, der unlöschbare Brand. Claudel hat viel und tief nachgedacht über
das Geheimnis der Seele nach dem Tode — vor-gedacht, möchten wir besser sagen,
die ewige, unzerstörbare Bewegung der Einzelseele zur heiligen Mitte hin, zur

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