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Kunstwart und Kulturwart — 28,1.1914

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1914)
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Düsel, Friedrich: Krieg und Theater
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https://doi.org/10.11588/diglit.14418#0021

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Krieg und Theater

gibt ein Bild von Alfred Kubin: der Krieg, mehr Mammut als
I^Mensch, wie er, mit scheußlichen Mordwerkzeugen gerüstet, über die
^>^Erde dahinstampft — man hört förmlich das Achzen und Todes-
röcheln der zertretenen Kreatur. So, als Würger, Zerstörer und Ver-
nichter ohne Wahl und Erbarmen mag manchem von uns Friedgewohnten
der Krieg erschienen sein, als seine Gestalt aus den Nebeln der Phantasie
sich plötzlich vor unsern Augen zu furchtbarer leibhaftiger Wirklichkeit ballte.
Am härtesten aber fühlten sich von der tzand dieses Schreckens die ge«
packt, die sich ihr Reich fern von aller Wirklichkeit gebaut oder sich ganz
auf den seligen Inseln des holden Scheins heimisch gemacht hatten: Leute
der schönen Künste und der reingeistigen Wissenschaften. Und unter ihnen
wiederum meinten Drama und Theater völlig wie Spreu hinweggefegt zu
sein — wer wird Romeo und Iulia um Lerche oder Nachtigall streiten,
wer Gyges und Kandaules vom Schlaf der Welt reden hören wollen, wenn
unsre Männer, Brüder und Söhne im blutgetränkten Feld um den Be-
stand unsres Reiches und Volkes kämpfen! . . .

Doch wie sich an die Stelle jenes dumpfgrausigen Bildes bald ein andres
setzte, eins, dem Mut und Zuversicht aus den Augen leuchtete und todes-
bereite Siegesgewißheit auf der Stirn thronte, so schnellte auch die Zag«
haftigkeit unsrer Bühnen bald wieder empor, um der Zeit und ihrem neu-
geborenen Geiste unerschrocken entgegenzugehen. Auch diesen Bann hat
augenscheinlich das mächtige Gemeingefühl lösen helfen, das uns alle in
diesen Tagen erfaßt und emporgetragen hat. Wie Scham kam es über die
Entmutigten, als sie rings um sich so tapfer hoffen und so rüstig schaffen
sahen. Rnmöglich konnte das das rechte und heilsame sein, was die Flinte
ins Korn werfen hieß, während die andern zu den Waffen stürzten! Die
sich so hatten überrumpeln lassen, vergaßen nicht nur die wirtschaftlichen
Folgen dieses Verzichtes für Tausende braver, in der Mehrzahl kärglich
besoldeter Kollegen, sie hielten sich auch die höheren Aufgaben und Rechte
nicht vor Augen, die das Theater nach seinem innersten Wesen und Beruf
zu erfüllen hat — in glücklichen und schweren Tagen.

Ia, in so ernsten, wie wir sie erleben, erst recht! Spiel und Tanz,
Schein und Täuschung? Das sind nur die äußeren Mittel, mit denen das
Theater wirkt; sein sittliches Ziel liegt wo anders, liegt in der Läuterung
der Gemüter, in der Weihe der Seelen, in der Erhebung der tzerzen, liegt
in der Vertiefung und Verklärung des Augenblicks zu jenem höheren und
ewigen Leben, das nur die gestaltende Kunst ihm geben kann und nach dem
die Sehnsucht um so mächtiger wird, je größer und allgemeiner die uns be-
wegenden Gefühle sind. Freilich gehört zur Erfüllung dieser Aufgabe ein
Bewußtsein der Würde, dessen sich unser Theater nur in seltenen Fällen
rühmen durfte. Doch wir wissen und erleben es ja alle jetzt, wie diese Zeit
uns hebt, reinigt und erneuert. Soll sie an unsern Bühnen vorübergehen,
ohne auch sie zu adeln? Müssen Kultur und Staat in dem Augenblick, wo
auf den Staat die härteste und schwerste Probe gemacht wird, notwendig
Feinde sein?

Alles weist im Gegenteil darauf hin, daß Politik — im innersten und
natürlichsten Sinne des Wortes — und Kultur zu einem neuen innigen
Bündnis berufen sind. Sorge nur die Kultur und in ihrem Gefolge das
Theater dafür, daß es ein freies, kein sklavisches Bündnis werde, daß sie

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