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Kunstwart und Kulturwart — 28,1.1914

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1914)
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Lose Blätter
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14418#0030

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Am zehnten Oktober, denkt ihr dran?

War das erst voriges Iahr?

Wie mancher reifte schnell zum Mann,

Der da noch Knabe war!

Nun suchen euch unsre Grüße gut
In Frankreich, in Rußland, zur See —

„Und du? . . . Und der?« „Fragt nicht, es tut
Soldatentod nicht weh!"

Doch decke wen Flut des Meeresgrunds
Oder fremde Erde zu,

Sein Geist, der ist und bleibt bei uns
Im alten Du zu Du.

Vom Meißnerschwur durch jede Nacht

Singt der Wind einen tzall

Aber Leben und Tod von Wacht zu Wacht:

Beisammen sind wir all.

Ferd. Avenarius

Bom tzeute fürs Morgen

Ein grotzes Aufatmen

ist über uns gekommen! Wir sind
heraus aus allen Zweifeln: Schon
drohte uns lähmende Ünlust über
unser mechanisiertes Tagewerk, schon
verzweifelten wir daran, bei der
Schematisierung aller und jeder auf
das Heil der Gesamtheit gerichteter
Tätigkeiten jemals zur persönlichen
Tat zu gelangen: da ist auf einmal
wieder etwas da, wofür man auch
das innerlich reichste Leben einsetzen
kann mit gutem Gewissen! War
denn nicht ganz im stillen unsre
Sehnsucht nach solcher Einsatzmög--
lichkeit gewaltig gewachsen? Nun
dürfen wir wieder an das Vornehme
im Wesen des Menschen glauben —
wenigstens des deutschen Menschen.
Wir sehen es ja: er schätzt nicht
sein Leben über alles hoch, er ist
bereit, es hinzugeben für das
tzeil Aller — wenn er sich dabei
nur nicht selber zu betrügen braucht!

Man nimmt sich überhaupt nicht
mehr so wichtig in diesen großen
Tagen — rnan darf „leichtsinnig"
sein, man darf das eigne Schicksal
vergessen. Gott weiß, was das für

eine Wohltat bedeutet für uns heute.
Ietzt erkennen wir ja erst, wie skla»
visch wir sogar am Feiertage mit
unserm ganzen Bewußtseinsraum an
unserm Broterwerbe gehangen hat-
ten. Wir glaubten sonst sträflich
leichtsinnig zu sein. Auch ver-
mochte unsre Seele nicht loszukom-
men von den Kränkungen, die uns
am Arbeitstage wurden! Der sor«
gengequälte Mann der schweren Ar-
beit, der in dumpfer Fabrik seinen
Gottestag hinbrachte, jetzt sieht er
auch wiederum Wälder, Wiesen,
Wolken und Morgensonne: er kann
hier und da einmal, in den Pausen
des Kampfes, hineinträumen in die
Gotteswelt und an den Schöpfer
und an die Ewigkeit denken! Ietzt
ist alles Kleine vergessen. Lächelnd
verzeihen wir unsern Peinigern. Uns
alle ruft ja die größere Not des
heiligen Vaterlandes.

Die vordem sich blähten in über-
spanntem Selbstgefühl, wie stellt sich
jetzt ihre Selbsteinschätzung ganz von
selber auf das, was am wertvollsten
ist in uns allen und uns bescheiden
zu sein heißt vor unsersgleichen:
 
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