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Kunstwart und Kulturwart — 28,1.1914

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1914)
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Zeugnisse der Zeit
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.14418#0233

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»Ganze Parade« in dem geliebten
preußischen Gänseschritt. Die Sache
dauert eine Viertelstunde und die
Burschen kommen durchaus nicht
vorwärts. Ein Offizier nähert sich
und fragt sie, was sie da machen.

»Oh!« antwortet der Anführer, »wir
marschieren nach Paris, deswegen
müssen wir immer auf derselben
Stelle marschieren. Verstanden?«

Der Offizier erbleicht und will
seinen Revolver ziehen; aber es
stehn zweitausend Menschen drum-
herum. Er zuckt die Achseln und
zieht sich wütend zurück, während
die Menge den Iungens zujubelt.

Ich sagte, es gebe auch einen
Generalstab der Iungens in Brüssel.
Denken Sie sich, daß die Burschen
in Nachäffung der Deutschen jedes»
mal, wenn diese einen Anschlag an-
heften, ihrerseits einen andern an-
heften. So hatten sie, als man zum
erstenmal den heldenhaften Brüsseler
Bürgermeister Max verhaftete, sol-
genden Anschlag an die Ecke der
Hochstraße und des Kapellenplatzes
geheftet: »Proklamation: wenn man
unserm Max auch nur ein einziges
tzaar krümmt, werden wir Deutsch-
land den Krieg erklären. Gefertigt
im Generalstab von Marolles.«

Im ganzen Stadtviertel von Ma-
rolles herrschte ein wahrer Aufruhr
mnd ganze Pilgerzüge fanden statt,
um die heldenmütige Proklamation
zu lesen. Die wütend gewordenen
Deutschen rissen sie ab, aber in-
zwischen war Max freigelassen wor-
den, und die Iungens von Brüssel
sagten ganz ernst: »Aha, sie haben

Furcht gehabt!« In Lüttich wagen
die Deutschen nicht mehr, Anschläge
anzuheften, weil die Einwohner an-
gefangen haben, sich davor zusam-
menzurotten und vor Lachen zu
platzen."

Diese Erzählung „einer hohen
Brüsseler Persönlichkeit, die in Pa-
ris angekommen ist", hat zuerst der
„Matin" mit höchstem Behagen
wiedergegeben. Sie scheint aber
durch die ganze Presse drüben zu
gehn, denn man freut sich ganz un-
gemein über sie. Wir unserseits
geben sie nach dem „Eorriere della
Sera", dessen „Servizio particolare"
sie ihm vermittelt.

Möglich, daß unsern Lesern zu-
nächst die Frage kommt: sind denn
die Rohrstöcke in Brüssel so teuer?
Dann die: Wie ist es bei erwachse-
nen Menschen möglich, daß sie sich
einreden lassen, die deutschen Sol-
daten straften die Iungen aus
Angst nicht ab? Drittens die: Gab
es unter den Brüsselern keine
Leute, um den Unfug als ein für
sie, die Brüsseler, immerhin nicht
ungefährliches Spiel mit deutscher
Langmut ihrerseits zu verhin-
dern? Und wenn es nicht wegen
seiner Gefährlichkeit wäre, so des-
halb, weil sie fühlten, wie kläg-
lich in Tagen tiefsten natio-
nalen Rnglücks solche Pos-
senspielerei ist?

Wir unserseits sind dafür, daß die
Deutschen es dort ruhig weiter hal-
ten, wie bisher: man lasse diese
Sorte von „Volksseele" sich so aus-
giebig prostituieren, wie sie mag.

Unsre Bilder und Noten

^s^^as Ribelungenbild von Peter Cornelius, aus dem wir
^-D^iden einst so hochberühmten „Treppenkampf" vors tzeft setzen — dieses
Vild hat mehr als ein halbes Iahrhundert lang nicht nur als
das bedeutendste deutsche Kampfbild gegolten, sondern schlechterdings als
das deutsche Kampfbild. Rnsre Großväter schätzten es so hoch, daß sie
wahrscheinlich sogar den Gedanken abgelehnt hätten, irgendein andres
Bild vom Kampfe neben diesem auch nur gelten zu lassen. Ans überrascht
 
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