Z« den Totentagen
es nicht) als wenn über dieser ganzen Zeit ununterbrochen die Glocken
^^sängen? Wo wir sein mögen, im Stillen oder Lauten, bei Arbeit
^^oder Rast) überall und immerdar hören wir Glockengeläut aus der nn-
sichtbaren Kirche. Rnd es ist andrer Art, als sonst. Das ist es, was
es einzig macht: es ist zweierlei Geläut in einem. Nur auf Augenblicke
vernehmen wir allein das „Frohlocken im Iubelsturm") das helle Iauchzen
über Sieg. Immer dabei ist auch der Trauerchor über die Tausende
junger Toter. Aber beides tönt nicht als ein Gemenge, von dem der eine
Teil dem andern widerspricht, es ist zusammengegossen zu einem singenden
GanzeN) wie weißes Zinn und rotes Kupfer zum Glockenerz. Freude und
Schmerz tönen miteinander das Größte, das Eigentliche, die religiöse
Inbrunst unsrer Zeit.
Die ist unser aller tiefstes Erlebnis. Protestanten, Katholiken und
Iuden, Gläubige und Freigeister haben es empfunden, es hat mit irgend-
welcher konfessionellen oder dogmatischen Bindung nichts zu Lun. Es ist
ein Gefühl. Als wir das „Feinde ringsum" in seiner ganzen Bedeutung
erfaßten, die allgemeine Verschwörung, um uns zu vernichten, die wir
uns friedfertig fühlten bis ins Mark, als wir uns verleumdet fanden,
wohin wir nur hörten, als wir von Ost und West die Feinde einbrechen
sahen in unser Vaterland — da, auf einmal, war dies Erlebnis da. Alles
gegen uns — aber wir eine Einheit. Keine Schranke mehr zwischen
Bruder und Bruder. And keine Schranke mehr Zwischen dem Anbekannten,
das Menschen Gott nennen, und uns. Daß unsre Sache gerecht, das
wußten wir alle, aber der Schluß „deshalö wird sie siegen" wäre den
Zweiflern unter uns ehedem nicht als ein sicherer Schluß erschienen. Sie
wird siegen, ganz plötzlich wußten wir das jetzt. Wer hat es uns
gesagt, was doch nach allem Menschenermessen so ganz und gar unwahr-
scheinlich war? Wer gab uns mit einem Male in tiefster Menschen-
not diese Beseligung des Glaubens, die alle unsre Augen leuchten machte?
Und die noch heute, ganz wie am ersten Tag, mit jedem neuen Heeres-
zuge an Männern und Iünglingen nur Iubelnde hinausziehen läßt in
diesen Kampf, nach dem unsre Greise noch verlangen und um den unsre
2. Novemberhest (XXVIII, §)
es nicht) als wenn über dieser ganzen Zeit ununterbrochen die Glocken
^^sängen? Wo wir sein mögen, im Stillen oder Lauten, bei Arbeit
^^oder Rast) überall und immerdar hören wir Glockengeläut aus der nn-
sichtbaren Kirche. Rnd es ist andrer Art, als sonst. Das ist es, was
es einzig macht: es ist zweierlei Geläut in einem. Nur auf Augenblicke
vernehmen wir allein das „Frohlocken im Iubelsturm") das helle Iauchzen
über Sieg. Immer dabei ist auch der Trauerchor über die Tausende
junger Toter. Aber beides tönt nicht als ein Gemenge, von dem der eine
Teil dem andern widerspricht, es ist zusammengegossen zu einem singenden
GanzeN) wie weißes Zinn und rotes Kupfer zum Glockenerz. Freude und
Schmerz tönen miteinander das Größte, das Eigentliche, die religiöse
Inbrunst unsrer Zeit.
Die ist unser aller tiefstes Erlebnis. Protestanten, Katholiken und
Iuden, Gläubige und Freigeister haben es empfunden, es hat mit irgend-
welcher konfessionellen oder dogmatischen Bindung nichts zu Lun. Es ist
ein Gefühl. Als wir das „Feinde ringsum" in seiner ganzen Bedeutung
erfaßten, die allgemeine Verschwörung, um uns zu vernichten, die wir
uns friedfertig fühlten bis ins Mark, als wir uns verleumdet fanden,
wohin wir nur hörten, als wir von Ost und West die Feinde einbrechen
sahen in unser Vaterland — da, auf einmal, war dies Erlebnis da. Alles
gegen uns — aber wir eine Einheit. Keine Schranke mehr zwischen
Bruder und Bruder. And keine Schranke mehr Zwischen dem Anbekannten,
das Menschen Gott nennen, und uns. Daß unsre Sache gerecht, das
wußten wir alle, aber der Schluß „deshalö wird sie siegen" wäre den
Zweiflern unter uns ehedem nicht als ein sicherer Schluß erschienen. Sie
wird siegen, ganz plötzlich wußten wir das jetzt. Wer hat es uns
gesagt, was doch nach allem Menschenermessen so ganz und gar unwahr-
scheinlich war? Wer gab uns mit einem Male in tiefster Menschen-
not diese Beseligung des Glaubens, die alle unsre Augen leuchten machte?
Und die noch heute, ganz wie am ersten Tag, mit jedem neuen Heeres-
zuge an Männern und Iünglingen nur Iubelnde hinausziehen läßt in
diesen Kampf, nach dem unsre Greise noch verlangen und um den unsre
2. Novemberhest (XXVIII, §)