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Kunstwart und Kulturwart — 28,1.1914

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1914)
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Nötzel, Karl: Du bist Deutscher!
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Avenarius, Ferdinand: Unsre Hausbilderei
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https://doi.org/10.11588/diglit.14418#0253

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In seinem Geistesleben, in Wissenschaft und Kunst, kennzeichnet sich der
Deutsche dadurch, daß er keine Grenzen für sich anerkennt und dabei in
seinem Bestreben, das ganz Große zu erfassen, nicht lassen will vom ganz
Kleinen. Ihm ist nichts zu gering, um es nicht mitzunehmen zu den
Gipfeln. Da bleibt er natürlich mit seinem vielen Gepäck leicht auf halber
Höhe stecken. Nur ganz selten vereint sich das ganz Große mit dem ganz
Kleinen zu höchster Einheit, wie in Dürer, tzolbein, Goethe. Da die Aus-
lese, Ausscheidung, Abgrenzung, Anformung dem deutschen Genius nicht
recht liegt, verzichtet er auch zu oft auf die notwendige Abgrenzung, welche
dem romanischen Genius so viel leichter fällt und ihm den Aufstieg so
sehr erleichtert.

Noch hatten wir in Deutschland häßliche Kulturkinderkrankheiten. Ein
Geist öden Nützlichkeits- und Vorteilstrebens hatte um sich gegriffen. Aus
großer Armut waren wir zu plötzlich zu großem Reichtum gekommen, als
daß wir uns ihm hätten anpassen können. Dann freuten wir uns allzu--
sehr des kindischen Tandes. Darüber lachten denn natürlich unsre Nach«
barn, die längst wissen, daß alles das eitel ist (ohne freilich selber davon
zu lassen) und die uns gerade um das neideten, was uns einst in aller
Armut reich machte — um unser Darüberstehen über der Kleinlichkeit.
tzoffen wir, daß unsre Freude am Tand und unser Streben nach kleinem
Vorteil im Grunde nur eine Kinderkrankheit war. Die Zeichen der Ge-
nesung mehrten sich schon seit Iahren.

Du bist stolz darauf, Deutscher zu sein, nicht, als ob du als Deutscher
dich überlegen dünktest den Bürgern andrer Nationen. Du bist stolz darauf,
Deutscher zu sein, weil du stolz darauf bist, Mensch zu sein. Rnd du
bist stolz darauf, Mensch zu sein, weil das eine große Verantwortung
bedeutet vor Gott und vor den Menschen und vielleicht vor der ganzen
lebendigen Schöpfung. Eine Verantwortung ckn der Gegenwart und in
fernste Zukunft. ^ Karl AötzeL

Unsre Hausbilderei

s sind nun bald neun Iahre her, da schlug ich in einem Aufsatz an
dieser SLelle* „tzausbildereien" vor. Wie stünde das, sagte ich,
wenn unser Volk seine Aufnahmefähigkeit die Iahrhunderte her ebenso
wie an Büchern und Noten auch an Bildern geübt hätte? „Man stelle
sich vor, in allen tzeimstätten der deutschen Bildung hätte Iahrzehnt für
Iahrzehnt zu täglichem Augenverkehr ein Schrank gestanden, der die Meister-
bildnereien ^rnsrer Kultur in gediegenen Nachbildungen gezeigt hätte. Offen-
barungen des deutschen Geistes, die zu den innigsten und tiefsten gehören,
wie von Griffelblättern Dürers Melancholie, sein tzieronymus im Gehäus,
sein Ritter zwischen Tod und Teufel, wie Rembrandts tzundertguldenblatt
und seine »Drei Bäume«, wie tzolbeins Totentanz und wie von Gemälden
Dürers und tzolbeins Bildnisse — stellen wir uns vor: sie hätten all die
Zeit her allfeierabendlich und allweihestündlich zu hunderttausenden deut-
scher Köpfe und tzerzen geredet. Stellen wir uns vor, die Eltern hätten
sie hervorgeholt abwechselnd mit Buch und Notenblatt, sie wären im Kreis
um den Tisch gegangen und ein Beschauer hätte auf dies, ein andrer

^ Er ist als Sonderdruck auch als 6. Dürerbund-Flugschrift (Callwey, Pf.)
erschienen.

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