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Kunstwart und Kulturwart — 28,1.1914

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1914)
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Schumann, Wolfgang: Mit starker Handlung
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14418#0064

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feineren Zusammenhang zwischen künstlerisch-seelischen Hocherlebnissen und
unsrer allgemeinen Lebenskraft und unserm persönlichen Wert erkannt, so
bieten sich noch Werke genug, die auch jetzt nicht verblaßt sind. Frauen
wie Ricarda Huch und Helene Böhlau haben in Werken wie „Michael
Unger" und „Isebies" von ewigen Dingen mitten im Menschlichsten ge»
kündet, Federers „Berge und Menschen" sind ein Buch tiefer Weisheit,
Nabls „Ödhof" reißt aus scheinbar dürrem Alltag so viel beglückende und
furchtbare Innerlichkeit, greift so tief in das Letztgültige wirklichen mensch«
lichen Wesens, daß wir erschauern, Thomas „Wittiber" steht wie ein in
Fels gehauenes Monument eines Volkes, das in unsrer Zeit bedeutung-
voll ist.

Wer kann im Ernst Romane „mit starker Handlung^ vorziehen, wichtiger
finden wollen, wenn er sich all dies vergegenwärtigt? Von allen hier
genannten Büchern ist im Kunstwart während der letzten Iahre im ein-
zelnen gesprochen worden als vom Besten dieser Zeit, im gleichen Sinne
wie heute. Wer heute zur Kunst greift, Besseres wissen wir ihm nicht.
Fassen wir den Sinn des Strebens nach starker Handlung und den Sinn
dieses Wortes selbst so, daß er künstlerischer Erziehung und geistigen An«
sprüchen entspricht, so sind wir reich genug, um aus unserm Eignen, um
aus dem Deutschen der Gegenwart uns eine Zeitlang zu nähren. Wir
brauchen der Schätze der Vergangenheit und fremder Völker dabei vorerst
noch gar nicht zu gedenken! Wolfgang Schumann

Lose Blätter

Das letzte Stündlein des Papstes

von Aeinrich Federer

iMach dem Stück, das wir im folgenden wiedergeben, nennt der Dichter
fünf „Umbrische Reisegeschichtlein", die bei Salzer in tzeilbronn erschienen
sind und zusammen nur eine Mark kosten. Federer ist ein echter Dichter,
aber ein „unsicherer", er hat erst kürzlich wieder ein Buch herausgegeben,
das an künstlerischer Durcharbeitung und Vertiefung mehr vermissen
läßt als mancher Durchschnittroman unsrer Zeit. Die neuen Ge-
schichtlein aber, nur 95 kleine Seiten, sind so schwer von echt dich-
terisch gesehenen und gelassen-sicher, selig-heiter gezeichneten Werten,
daß man den Verfasser anflehen möchte, beim nächsten Werk doch nicht
wieder zu vergessen, wieviel Verpflichtungen er mit der Veröffentlichung
von echten Kleinodien auf sich nimmt. Unsre Losen Blätter zetgen eins
davon, dessen tiefer, überzeitlicher Ernst wohl an jedes tzerz rühren mag.
Und wie kraftvoll und einfach ist er zur Anschauung gebracht: hier der
größte, mächtigste Papst der Weltgeschichte, auf der Höhe der weltbeherr-
schenden Macht seines Berufes plötzlich zurückgewiesen an die einfach
menschlichen, allgleichen Empfindungen, die der Tod in uns auslöst, dort
Franziskus als froher Träger einer Liebe, die gleichzeitig hoch über der
Weltlichkeit des Papstes wandelt und tief unter jener Sphäre ihr Wesen
treibt. Mit wenig Auftritten läßt der Dichter Außerlichkeit um Außerlich-
keit fallen; was immer vor Gott nicht bestehen kann, zerfließt vor der
Stunde, da Franziskus dem armen Bruder Innozenz letzten Trost spendet
und an seinem Schicksal das Elend der Weltlichkeit ermißt. Bewunderns-

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