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Kunstwart und Kulturwart — 28,1.1914

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Heft 4 (2. Novemberheft 1914)
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Vom Heute fürs Morgen
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Zeugnisse der Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.14418#0187

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Straße ist nicht mehr der Parvenu blassen zerschossenen Krüppel, welcher
und die „Scharlachdame", wenn sie mit Heftpflastern bedeckt nach dem
mit dampfenden Rossen ans gas- Bäckerladen schleicht. Der Held des
strahlende Opernportal herkarossie- Tages ist wirklich ein Held.
ren, sondern alle Blicke folgen jenem Ferd. Kürnberger

Zeugnisse der Zeit

Vom Versöhner Tod

ir geben einiges Gesammelte
znm Anfbewahren mit:

Aus dem Brief einer dentschen Frau
an die Mutter eines in Deutschland
gestorbenen französischen Verwunde--
ten: „Freitag, den 28. August, kam
hier ein großer Transport ver-
wundeter Soldaten an, unter denen
Ihr Sohn, Herr Lucien Paul, sich
befand. Er hatte eine schwere Ver-
lehung am Kopfe. Sie können ver-
sichert sein, gnädige Frau, daß Ihr
lieber Sohn mit der größten Sorg-
falt verpflegt worden ist und daß man
nichts vernachlässigt hat, um sein
junges Leben zu retten. Das wird
Sie ein wenig trösten. Der Gedanke,
daß ein Priester ihm in den letzten
Stunden beigestanden hat und daß
sein Tod ein heiliger gewesen ist,
wird Ihnen helfen, Ihr tzaupt unter
die tzand des höchsten tzerrn über
Leben und Tod zu beugen. Ihr
Sohn ist als tzeld für sein Vaterland
gestorben. Seine Bestattung fand
Dienstag, den h September, statt
beim Geläute der Glocken der Kathe-
drale. Er erhielt alle militärischen
Ehren. Unsere zwei Kriegervereine
mit ihren Fahnen, die von schwarzem
Flor bedeckt waren, bildeten das
Ehrengeleite. Ein blauer Himmel
glänzte über dem offenen Grabe, als
die drei Ehrensalven abgegeben wur-
den. Ich erlaube mir, Ihnen ein-
liegend einige Zweige von dem Lor-
beerkranz zu schicken, den die Krieger-
vereine auf dem Grabe niedergelegt
haben, sowie einige Ausschnitte aus
der hiesigen Zeitung. Sie werden
darin sehen, wie sehr man Ihren

lieben Sohn geehrt hat. Gnädige
Frau, man hat mir gesagt, daß der
so schwer verwundete junge Fran-
zose vor allem seine Mutter wieder-
zusehen wünschte. Das ist mir so
sehr zu tzerzen gegangen, daß ich
beschloß, seiner armen Mutter sofort
zu schreiben >und ihr alles, was ich
über den jungen Soldaten erfahren
konnte, mitzuteilen. Denn auch ich
habe einen einzigen Sohn, der voller
Begeisterung dem Rufe seines Kai-
sers gefolgt ist, und seit dem
22. August fehlt uns jede Nachricht
von ihm.^

Aus dem „Daily Telegraph":
„Ein Gemeiner vom Regimente
»Black Watch«, jetzt im tzospital in
Newcastle, erzählt: An der Aisne
lag ich stundenlang verwundet. Ein
Deutscher kam herbei und verband
meine Wunde unter schwerem Feuer.
Als er mich zurechtgemacht hatte,
wollte er sich entfernen, aber eine
verirrte Kugel traf ihn, und dicht bei
mir fiel er tot nieder. — Korporal
Houston von den »Seaforths« er-
zählt: Rach dem Kampf bei Soissons
lag ich schwer verwundet auf dem
Felde. Rahe dabei lag ein junger
Bursche. Äber ihn beugte sich ein
deutscher Infanterist, hielt eine
Wasserflasche an seine Lippen und
suchte ihn zu beruhigen. Der ver-
wundete Mann war im Delirium
und rief fortwährend: »Mutter, bist
du da?« Der Deutsche schien zu
verstehn, denn er strich sanft mit der
Hand über die fiebernde Stirn und
liebkoste den armen Iungen so zart,
wie eine Frau es nur gekonnt hätte.
Der Tod kam, und als die Seele
 
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