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Kunstwart und Kulturwart — 28,1.1914

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1914)
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Lose Blätter
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14418#0263

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„Es ist der Blumen wegen," sagte er, „der Aussicht wegen auch, obzwar
ich die ja nicht mehr sehen kann."

„Ia, die Blumen wirst du wohl auch nicht sehen.« And sie lachten ihn
wiehernd aus. Sie begannen ihn so wunderlich zu finden, daß ihr erstes
Mitleid und ihre Bewunderung für seinen Mut einer rohen, gutmütigen
Geringschätzung Platz machte.

„Wer weiß, meine armen Freunde! Ich weiß doch immerhin, daß
sie da sind. Rnd gerade heute nacht, als ich hier schlief und träumte, sah
ich sie. Viel mehr sah ich. <Ls ist ein guter Platz zum Schlummern, ich
habe ihn erprobt. Seid ihr nun bereit?"

And er sank auf dem äußersten Rande des Grabes auf die Knie, so
daß der Körper von selbst herabfallen mußte, von dem bloßen Schwung
des Schlages.

Seine Büttel taten alles, worum er sie gebeten, und als sie wieder
unter die Leute kamen, erzählten sie von dem seltsamen Alten. So ward
sein Schicksal bekannt, und die Menschen schlichen sich zu der Stelle, wo
er lag, und beteten dort lange und dachten schön und innig an ihn.

Mit der Zeit wurde er äls ein tzeiliger angesehen, und da jeder
solcher seinen besonderen Kreis von Menschen hat, die ihn notwendiger
brauchen und mit der Zeit bestimmtere tzoffnungen an ihn knüpfen als
andere, wurde Phocas der Schutzpatron derer, die in der Erde graben
und in der Stille den Beruf des Gärtners und Pflanzers ausüben. Aber
auch über den ganzen Garten mit seinen Beeten und Obstbäumen und
Saaten soll sich seine freundliche Macht erstrecken, so daß Schnecken und
schädliche Tiere sich fernhalten und die Früchte sich runden und die Rinde
sich erneut und die Blumen fröhlich und sanft in ewiger Iugend im grünen
Grase stehen.

Vom tzeute fürs Morgen

Das Weihnachtsgeschenk

eißt du noch, wie Weihnacht
war?" Ganz recht, wir sind ja
im Dezember, und so ungefähr mit
dem ersten Schnee kam das immer!
Dieses — ja, was war's? — dieser
andre Klangschimmer in allen Wor--
ten und andre Lichtschimmer in allen
Farben, bis die grünen Baumkinder
in die Straßen zogen und auch die
Geizigen zu schenken und die Tan--
nenzweige zu leuchten begannen —
dieses Umhauchen und Amflüstern
und Umblühen aller Dinge mit Kind--
heit. „Das war einmal!" Denke lieber
nicht daran, es ist ja so lange her. Wie
lange! Und denkst du daran, mußt
du auch an schwarze Frauengestalten
denken, die heuer still vor sich hin--
weinen werden, wo voriges Iahr . . .

Aber das ist eben das, was durch--
gemacht werden muß. Muß. Muß!
Wie mit Glockenschlägen sollt es
unser Sein durchdröhnen, dieses
Muß. Torheit, sich vor den furcht--
baren Grausamkeiten der Zeit die
Augen zuhalten zu wollen, dann
stechen sie uns ein andermal mitten
hinein. Freilich: Torheit auch, sie
aufzusuchen, und nur sie, und ihrer
Schläge mit kranker Lust zu genie--
ßen. Fest sie ansehen, das bannt ihre
Kraft am ehesten. Und läßt auch
sehen, was mit ihnen verschlungen
steht. Rnd was hinter ihnen steht:
das Große.

tzinter den Schatten und vielleicht
noch ganz weit, ihr Trauernden, so
weit, daß euch der Weg dahin heute
endlos dünken mag in seiner Müh--

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