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Kunstwart und Kulturwart — 28,1.1914

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1914)
DOI Artikel:
Nötzel, Karl: Du bist Deutscher!
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https://doi.org/10.11588/diglit.14418#0251

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Du bist Deutscher!

^^^^eshalb besinnst du dich darauf? Du willst wissen, wo vornehmlich
D ^deine besonderen Anlagen und Kräfte liegen, und welche Schwächen
^ ^'du bei dir voraussetzen kannst. Deine Landsleute bilden ja die
einzige Menschenmehrheit, die du tiefer zu erfassen irnstande bist. Alletn
schon durch die Sprache: Eine jede Sprache ist ja ihrem innersten Wefen
nach nichts andres als Ausdrucksmöglichkeit für eine ganz bestimmte nur
erlebbare Empfindungsart. Für keinen Menschen ist mehr als eine Sprache
wirklich Ausdruck seines Innersten. Du bist darum in deinem letzten
Wollen immer nur angewiesen auf deine Landsleute.

So verehrst du in deinem Volkstum die Mutter deines Verständnisses
für alles Menschentum und zugleich das natürliche Wirkungsfeld für
deine Kräfte. Dein Volkstum verbindet dein Ich und die Menschheit.

T

Welche Tugenden siehst du bei deinen Landsleuten? Wenn du bei
ihnen eine Tugend hervorhebst, so willst du damit nie sagen, daß du die
gleiche Tugend bei den Angehörigen anderer Nationen vermißt, oder daß
sie dort nicht vielleicht in weit höherem Maße vorhanden sein könne. Das
weißt du ja nicht. Du sagst nur: diese Tugend an meinen Landsleuten
liebe ich.

Du liebst an uns Deutschen die Ehrlichkeit. Wir sind unbeliebt in der
Welt. Bei unsrer Ehrlichkeit fällt das Ansympathische, das Lächerliche an
uns dem Fremden zuerst in die Augen — so vor allem jener uns im
Laufe unsrer Geschichte anerzogene subalterne Geist des gesellschaftlichen
Sicheinrangierens. Das Wertvolle im nationalen Wesen des Deutschen
verbirgt sich. Die Erkenntnis deutscher Vorzüge erfordert somit Nach-
denken. Die Würdigung des Deutschen verlangt überhaupt eine Geistes-
anstrengung, die man für die Angehörigen fremder Nationen kaum jemals
aufbietet. Die internationale Rnbeliebtheit des Deutschen ist daher auch
ein Zeichen internationaler Denkfaulheit und allgemein menschlicher Ober-
flächlichkeit im Beurteilen des Mitmenschen. So ist der Russe vor allem
geneigt, in deutscher Gewissenhaftigkeit kleinliche, beschränkte Pedanterie
zu sehn. Der eigentliche tzintergrund deutscher Gewissenhaftigkeit bleibt
unverstanden von ihm: die Achtung vor der eigenen Person, die der
Tüchtige unter den Deutschen bewußt einsetzt mit jeder seiner tzandlungen,
und die Achtung vor fremdem Seelenleben, das er durch sich selbst nicht
in Mitleidenschaft ziehen möchte.

Die Ehrfurcht vor dem, was Menschen nicht wissen
können, erscheint als der gute Untergrund der deutschen Volksseele.
Sie entspringt wohl einem urwüchsigen Willen zur Gerechtigkeit. Die
deutsche Seele, die stark ist und für sich Freiheit verlangt, maßt sich nicht
an, die Grenzen zu kennen von andern Seelen oder gar, ihnen Grenzen
setzen zu wollen, wie das zum Beispiel der Russe tut. Auch die viel-
geschmähte Unentschlossenheit des Deutschen hat in dieser selben Ehrfurcht
vielleicht ihren letzten Grund. Der Deutsche sieht, oder er fühlt doch von
einer jeden Sache sehr oft nicht nur eine Seite, sondern zwei oder gar
alle Seiten auf einmal, und ihnen allen will er gerecht werden. Das
macht ihn dann bisweilen unentschlossen. Freilich, es befähigt ihn auch,
sich einer Sache, je mehr er ihren Reichtum erfaßt, je mehr zu widmeu,
so sehr, daß er wohl sich selber darüber vergißt. Der Deutsche ist schwan»

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