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Kunstwart und Kulturwart — 28,1.1914

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1914)
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Avenarius, Ferdinand: Krieg und Friedensbewegung: auch eine Weihnachtsbetrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14418#0250

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nen mir auch dann wichtig und unentbehrlich, wenn sie zu irgendwelchen
Einigungen nicht führen. Ich ineine, solche Aussprachen sollten in kleine»
ren Kreisen recht häufig sein, in größeren eigentlichen Kongressen aber nur
selten. Und sollten systematisch dahin arbeiten, die Eindrücke aus Zei«
tungen und Büchern mit offener Besprechung nachzuprüfen, zu berichtigen,
zu ergänzen. Ihr Zweck sollte sein, die Gebildeten der Völker .einander
kennen und verstehen zu lehren, nicht aber der: sich gegenseitig zu be»
kehren oder wohl gar einander zu überstimmen. Die führenden Köpfe
der verschiedenen Nationen müßten die Verhältnisse, die Interessen, die
Eharaktere der andern höchst ernsthaft studieren, um nach und nach immer
mehr beurteilen zu lernen, wo falsche Meinungen übereinander vor-
liegen und wo wirkliche Gegensätze. Liegen Gegensätze vor: ob sie
überhaupt friedlich lösbar sind oder nur im Kräftespiel der Gewalt. Weitere
Aufgaben würden hier früher, dort später ganz von selber. aus solchem
Gedankenverkehr und solcher Arbeit heranreifen. Ich glaube zum Beispiel,
daß das Bekämpfen von Lügennachrichten und sonstigen Irreführungen
als solchen von den Gebildeten ziemlich schnell als ein gemeinsames Inter--
esse aller Völker anerkannt würde. Mit der Ieit könnte dann die Frie--
densorganisation Kristallisationspunkte für all die Minderheiten oder recht--
losen Mehrheiten bilden, die in ihrem Vaterlande gegen Interessen--
tenkriege nicht aufkommen können. Gegen einen echten starken Volks --
willen würden sie niemals aufkommen. Daß das nicht angeht, mit
dieser Einsicht werden sich die Pazifisten auch vorläufig abfinden. Wer
kann, wer darf für Iahrhunderte daran denken, einen Krieg unter allen
Amständen vermeiden zu wollen! Nach Iahrhunderten — oder Iahr-
tausenden kommt die Menschheit wohl auch dazu. Es ist „nur" eine Organi--
sationsfrage, wie es „nur" eine Organisationsfrage war, das Faustrecht
durch Gesetzbuch, Gericht und vollziehende Gewalt zu ersetzen. Aber zwi--
schen den Staaten steht ja noch in den Anfängen, was innerhalb der
Staaten sich seit Iahrtausenden entwickelt hat. Genug, wenn die Frie--
densbewegung in absehbarer Zeit erreicht, daß solche Kriege unmög--
Lich, nein, daß sie wenigstens seltener werden, die in Wahrheit nur von
kleinen oder großen Interessentengruppen durch Täuschung, Verhetzung oder
Vergewaltigung erregt werden. Menschen, wie der ermordete Iaurös, waren
keine Phantasten, und der Gang der Geschichte hat sie nicht widerlegt.

Durch die dunkelste Winternacht sahen unsre Altvordern Frau Berchta
mit dem Frühling ziehn. Sie durften sich der Frühlingsgewißheit mitten
in Dunkel und Kälte freuen, sie wußten, er kommt. Ob dieses Marsjahr
schon jetzt Sonnenwende hat, wissen wir nicht, aber einmal wird es
sie ja haben. So gewiß wir zum Durchhalten entschlossen sind, so gewiß
dürfen wir mit unserm Denken und Wollen nicht aufgehen in
diesem Kampf. Wir sind kein tzalbtiervolk, das sich nur durch die höchste
Stachelung des tzasses zum Volleinsetzen seiner Kraft aufregen könnte.
Wenn die Brände, die dieser tzaß in die Kulturen wirft, auf schwarzen
Balken verschwelt sein werden, dann soll das Deutschtum der Menschheit
sagen können: wir wenigstens haben während all dem auch ans Netten
und ans Wiederaufbauen gedacht. A

W
 
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