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Kunstwart und Kulturwart — 28,1.1914

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Heft 4 (2. Novemberheft 1914)
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Zeugnisse der Zeit
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.14418#0192

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werden, zu erscheinen", hat man den
benötigten,,Rechtsgrund" zum Raub.
Noch — vornehmer fast erscheinen
die „Gründe", an deren Zurecht«
machen man jetzt drüben arbeitet,
um die Güter der Richtkämpfenden
in die tzand zu bekommen.

Edmond Claris hält ein solches
Tun für durchaus gerechtfertigt. So
verwüstet der nationale tzaß, den
dieser Krieg entfesselt hat, auch das
ganz persönliche Gefühl für Recht
und Anständigkeit in ehrenwerten
Männern. Diese inneren Schäden
erscheinen uns fast als die schwer«

sten, denn wenn der gute Wille ver-
dorben wird, wird jeder Keim für
eine gesunde Zukunft verdorben.
Wir hoffen, daß Deutschland nicht
auf diese schiefe Ebene der Abwärts--
entwicklung gleitet wie die Kultur-
verteidiger gegen uns Barbaren
drüben, wir hoffen, bei uns wird
man „Repressalien" vermeiden, so-
weit sie nicht für ganz bestimmte
Zwecke unerläßlich sind. Repressa»
lien aus tzaß und Zorn beschmutzen
die tzände, nur solche aus Rot und
Zwang können mit reinem Gewissen
angewendet werden.

Unsre Bilder und Noten

^^otenfest! Auch unsre Bilder mögen unter der Stimmung der Ge-
denktage stehn.

^^Die Tiefätzung vor unserm tzefte bringt eine Radierung von Walter
Rehn, jenem noch wenig beachteten Künstler, von dem wir schon ver-
schiedene schöne Blätter gezeigt haben. Unsre Freunde erinnern sich viel-
leicht von ihnen her, daß Rehn gern mit feinsten Strichen sorgfältig durch«
bildet — hier schlägt er den Regen mit starken tzieben übers Bild. Weil
auch seine Technik in allen Fällen Ausdruck der Stimmung
ist, was eben den Künstler vom Virtuosen unterscheidet. „Die ganze Luft
ist wund und weh."

Die Gruppe um Maria aus dem „Christus am Kreuz" der großen
Passion von Albrecht Dürer. Vor ihm (und anderswo noch lange
nach ihm) glaubte man, den Schmerz, je tiefer er dringt, durch je mehr
schreiende Verzerrung ausdrücken zu sollen — jeder erinnert sich solcher
Bilder und denkt dabei wohl an den Brauch der Klageweiber, die bei-
spielsweise in Italien auch heute noch angestellt werden. Dürers Gottes-
mutter ist erstarrt im Schmerz. Auch ihre Tröster verstummen, die Un-
zulänglichkeit aller Rede in der Aufrichtigkeit ihrer tzerzen fühlend. Wie-
viel innerlicher ist das, als das schreiende Pathos. Man achte auch auf die
tzände mit ihren leeren Griffen. Das wurde (5(0, vor mehr als vierhundert
Iahren gebildet, — wo die Menschenseele so Cchtes gab, da gehn die
Iahrhunderte spurlos vorbei, es wird noch in einem Iahrtausend über-
zeugen.

Für Bernhard Winter dürfte nun endlich auch die Zeit kommen,
da man den bescheidenen Cchten zu würdigen lernt. tzier das ernste
Gegenstück zu der köstlichen heitern Bauernhochzeit, die der Kunstwart vor
neun Iahren (XIX, U gebracht und mit einer großen Photogravüre auch
als Vorzugsdruck herausgegeben hat. Totenfeier auf der Tenne des nieder-
deutschen Bauernhauses, wie sie früher war. „Ethnographische Malerei!"
Ach nein, meine tzerren, die „interessante" Tracht, der alte Bau, die
Schränke, die Geräte, sogar die Schinken und die Speckseiten an den
Balken, das alles hat Winters Liebe zum Volk ihm nachgebildet, weil

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