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Kunstwart und Kulturwart — 28,1.1914

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1914)
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Avenarius, Ferdinand: Mundbarbarentum
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Schumann, Wolfgang: Mit starker Handlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14418#0062

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wissen, daß wir die Tüchtigsten sind. Weil wir die sind, kann uns auch
niemals entschuldigen, was andre treiben, kann kein Franzosen«, (Lng-
länder-, Russen-Schwatzen oder -Tun uns entschuldigen. Nur solange
wir uns selber in Zucht halten und weiter erziehen, nur so lange bleiben
wir die Tüchtigsten, nur so lange des Siegens wert und nur so lange
fähig, dereinst aus unserm inneren Rechte und aus der Gesundheit unsrer
sittlichen Kraft heraus Führer zu bleiben. A

Mit starker Handlung

^^inen Roman „mit starker tzandlung" haben in den letzten Wochen viele
E^Leser von mir empfohlen haben wollen. Warum? Manche wohl, weil
andre Romane sie nicht mehr zu fesseln vermögen, nicht imstande sind,
die Klänge von den Schlachtfeldern Europas her zu übertönen. Da habe
ich nun bedauernd die Achseln zucken müssen: es ist der Kunst heute nicht
gegeben, mit Kanonen und Trompeten in Wettbewerb zu treten. Rnd am
wenigsten dem Epos, das am wenigsten als gegeben vorausseht, sondern
eine Welt still für sich aufbauen und SLück um Stück zeichnen muß.
Vielleicht probiert man es einmal mit Connan Doyle oder Iules Verne
oder I. C. Heer — doch über diese Gattungen frage man lieber Bahnhof-
buchhändler als Kritiker.

Aber baut denn das Epos wirklich „still für sich, Stück um Stück" seine
Welt? Erlaubt Homers Werk solche Charakteristik? Die Frage stellen
heißt sie verneinen! tzomer, man darf es nie vergessen, ist der Feierer
der nationalen Geschichte, die dem.tzörer — tzörer, nicht Leser — bekannt
ist, aber wiederum nicht so genau bekannt, daß der Dichter sie nicht glän-
zend, in herrlichen Worten und Szenen ausschmücken und ausgestalten
dürfte. So steht es mit der Ilias, und auch die Odyssee ist ein Sammel-
becken an ähnlich Bekanntes angeknüpfter Erfindungen und Sagenmärchen.
Voll starker tzandlung beide, denn ihre Welt ist die Welt derer, die sie
hören. Für uns ist sie nur undeutlicher tzintergrund, wir lesen tzomer
tausendmal anders als seine tzörer ihn hörten.

Ansre eignen großen Epen aber sind auch voll von tzandlung. Nibe-
lungenlied, Dietrichsage — sie sind erfüllt von Auftritten starker äußerer
und einiger innerer Bewegung. Ihre tzintergründe aber scheint ein Vor-
hang zu verdecken — kein Milieu, keine Welt.

Was wir aus unsrer Zeit groß und größt hießen, hat seine eigne Welt:
Wilhelm Meister, der Grüne tzeinrich, Anna Karenina, Thomas Ren-
dalen, alle diese Bücher sind Spiegel, nicht Fresken. And ihr Sinn ist,
die Welt gestalterisch zu schaffen, in der das Wort „tzandlung" nur inner-
liches Tun betrifft und das stärkste Wesen das Einzelwesen ist. Dabei ist
es für die Literatur seit Goethe bis geblieben, und es bleibt auch
wohl weiter so. Also, Dichtung „mit starker tzandlung" weiß ich aus der
Gegenwart nicht zu empfehlen. Wer etwa „Krieg und Frieden" zur
tzand nimmt, wird dreifach enttäuscht sein. Erstens enthält dieses vielleicht
stärkste Prosawerk seines Iahrhunderts nur wenige größere Auftritte mit
starker Handlung, zweitens enthält es eine lang und breit und ganz theo-
retisch dargestellte Philosophie der Geschichte, und drittens sind die Russen
darin keine Lumpen, nicht einmal „asiatisches Pack".

Die Kunst dient nicht oder nur zufällig unsern wechselnden „Bedürf-
 
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