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Kunstwart und Kulturwart — 28,1.1914

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1914)
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Avenarius, Ferdinand: Mundbarbarentum
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https://doi.org/10.11588/diglit.14418#0059

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1 Iahrg. 28 Zweites Oktoberheft 1914 Heft 2

Mundbarbarentum

Einleitung eine kleine Auseinandersetzung zwischen dem Arntsblatt
^<der tzauptstadt eines deutschen Mittelstaates und mir.

^^„Zu dem Leitaufsatz »tzumanitätsdusel« im heutigen . . . bitte ich um
das Wort. Am Mißverständnissen vorzubeugen: auch ich stimme der Ab-
sicht dieses Aufsatzes insofern vollkommen bei, als auch ich alles für un-
erläßlich halte, was den deutschen Truppen zu schnellem und gründ-
lichem Siege verhelfen kann, auch die energische Beschießung
von Paris. Aber zwei Bemerkungen des tzerrn Verfassers scheinen
mir schon wegen unsres Ansehens in der Welt den öffentlichen Wider«
spruch von Deutschen notwendig zu machen, die anders denken.

Er schließt: wir wollen »es laut verkünden, daß in diesem uns auf-
gezwungenen Kriege alle Statuen und Bilder, Triumphbogen und Kathe-
dralen von Paris uns nicht so viel wert sind als die Knochen eines ein-
zigen pommerschen Grenadiers«. Sind wir uns bewußt, welchen ungeheuren
Dienst wir unsern Feinden durch solche Worte leisten? Bis jetzt haben
sie's nicht ganz leicht: sie müssen »Beweise« für unsre »Barbarei« aus
einem Netz von Lügen Herausspinnen, das in der Luft fliegt. Nun
überliefern wir einen derartigen Satz als nachweislich im Leiter eines
deutschen Amtsblattes gedrucktes Material. Was kann eine Entstellungs-
kunst aus dieser Tatsache »beweisen«!

Zweitens: der tzerr Verfasser beklagt »unsre unglückselige Neigung, die
Grundbegriffe der Moral des bürgerlichen Lebens auf Gebiete zu über-
tragen, wo sie schlechterdings nichts zu suchen haben«. tzat seiner Ansicht
nach die christliche Moral Grenzen? Darf man sie auf dem einen
Gebiete anwenden und auf dem andern nicht? Ie nachdem, ob das einem
zweckmäßig erscheint? Welches Recht HLtten wir dann, über die Ver-
werflichkeit der feindlichen Politik zu sprechen, welches Recht,
ihnen Wortbruch, tzeuchelei und all das andre vorzuwerfen, was wir ihnen
doch tagtäglich vorwerfen und unsres Erachtens mit sehr gutem Grund?
Wenn wir für uns das Recht beanspruchen dürften, »die Grundbegriffe
der Moral des bürgerlichen Lebens« für die Beziehungen zwischen den
Völkern nach unserm Ermessen auszuschalten, warum stände das nicht
auch ihnen zu? Ferd. Avenarius"

Der tzauptleiter des betreffenden Amtsblattes verweigerte den Abdruck
meiner Linsendung, da sie der „wohlerwogenen Absicht" jenes
Leitaufsatzes Abbruch tun könnte. Stellen wir also fest: er hat den Ab-
druck jenes Aufsatzes „wohl erwogen" gehabt. „Wohl erwogen" war gewiß
auch der Aufsatz einer Zeitschrift neulich, der erklärte: jeder An-
gehörige einer uns bekriegenden Nation sei unser Feind, und wir
müßten ihm feind sein, „unbarmherzig". Nur, daß er den Grundgedanken
der modernen Kriegsführung bei seinen Wohlerwägungen vergessen hatte:
 
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