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Kunstwart und Kulturwart — 28,1.1914

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1914)
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Avenarius, Ferdinand: Mundbarbarentum
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https://doi.org/10.11588/diglit.14418#0060

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daß Krieg nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen den Heeren ge-
führt wird. Wohl erwogen hat seiner Ansicht nach auch der Leipziger
Herr, der an einen Italiener zur Wonne unsrer Feinde von einer „bevor-
stehenden Abrechnung" mit Italien sprach, weil es neutral geblieben ist,
und von „unsern" Gefühlen, „die alle Syrnpathie" für dieses „feige und
verworfene Italien verwischen^ — von dessen überaus schwieriger Lage er
nichts verstand. Unsre Regierung ist gegen all diese Weisen machtlos, sie
konnte trotz der gegenwärtigen Briefzensur den eifrigen Leipziger nicht
einmal an der Absendung seines Schreibens hindern, da es ja keine militä-
rischen Geheimnisse verriet.

Wir aber, wir dürfen über diese ganze Gruppe von Redereien nicht zur
Tagesordnung übergehen. Es ist Pflicht, öffentlich gegen sie
aufzutreten, und je mehrere das tun, je besser ist's. Sonst
stellen es unsre Feinde den Beutralen dar, als wenn die Schreier im
Volk die Nufer des Volkes wären, seine Führer. Ie geduldiger wir still-
halten, je leichter machen wir Abelwollenden den Betrug, so dächten die
Deutschen. Danach schließen die Neutralen dann und — entschließen sie
sich. Das ganze Auslandsgeschrei über Löwen, das uns so viel geschadet
hat, wäre unmöglich gewesen, wenn sich die drüben nicht auf eine deutsche
Meldung berufen hätten, welche „die Zerstörung Löwens" meldete, ob-
gleich fünf Sechstel davon noch heute stehn. Ein schlagendes Beispiel für
die Gefährlichkeit des schreibenden Bramarbas. Das unüberlegte Drauf-
losreden vermehrt die Zahl unsrer Feinde. Aber ich glaube, daß andre
Gefahren dabei noch schlimmer sind, noch viel schlimmer. Denn dieses
Treiben erzieht uns abwärts.

Wie sieht es denn da und dort bei uns in der Masse und wie beim
Pöbel aus? Der Masse, die noch kein Pöbel zu sein braucht, setzt man
in Großlieferung „Witze" vor, wie das Bild eines Gefangenentransportes
aus Rußland mit der Unterschrift: „Kinder, seht sie euch an, so sehen
90000 Mörder aus." Oder eins, dessen einziger „tzumor" darin
besteht, daß die Russen ertrinken, nein, „versaufen". Der Zar als Mörder-
häuptling, Marianne als Dirne, Georg als ihr Zuhälter — mit solchen
Blödheiten werden jetzt jeden Tag „literarisch" oder „künstlerisch" Leute
behandelt, über die man noch vor wenigen Monaten ob ihrer hohen Stel-
lung mit Rntertanenblick sprach. Eine „Speisekarte", Beispiel: „Englischer
Kopfsalat, französisches Goulasch, russische Spione am Spieß gebraten" —
täglich neue Vorschläge von ebenso sprudelndem tzumor. In allen Schichten
unsrer Gesellschaft schimmelt schon irgendwo irgend etwas von solchen
Bazillen aus der Erbschaft der seligen Ar^näo iwtion. Will man seine
Augen unter ihren goldigsten Blüten lustwandeln lassen, so muß man sich
freilich vor ein Schaufenster mit Ansichtskarten stellen — so lange man's
aushält.

Ihr drüben, wenn ihr glaubt, das sei unser Geist, das sei deut-
scher Geist, so seht auf unser Heer! Seht, wie es kämpft, wie es aus-
hält, lest auch, wie es aus dem Felde schreibt, und vergleicht mit den Be-
richten seiner Leitung die fremden. Die Dumme-Iungen-Großmäuligkeit
eignet nicht unserm Heere als Ganzem, das unser Volk in Waffen ist.

§2
 
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