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Kunstwart und Kulturwart — 28,1.1914

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Heft 4 (2. Novemberheft 1914)
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Zeugnisse der Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.14418#0190

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Iuli und dem vom August liegt ein
Abgrund. Im Iuli steckten wir in
der Politik, in dem Schmutze nie«
derer Interessen, in dem Programm-
klüngel lauter Schreier. Und mit
einem Schlage sehn wir all die Tu«
genden unsrer Ahnen wieder er-
stehen; unsre Fehler sind in nichts
zerstoben. — Das ist nicht mehr der
Franzose, der das Vaudeville ge-
schaffen — das ist der Kreuzritter,
der fromme Iüngling des (5. Iahr«
hunderts, der an die Iungfrau von
Orleans glaubte... Wir trugen die
Maske der Dekadenz, aber das Zerr-
bild wich, und wir können uns wie«
der bewundernd betrachten: Das
Antlitz ist schön und es steht uns
wohl an, uns, die wir jegliches Ge-
bild geschaffen, alle Formen geprägt
haben, die wir die Verbreiter der
erhabenen Lehren des christlichen
Zeitalters gewesen sind.

O, diese unvergleichliche Einig-
keit! Diese Fülle an Kraft, an Wil--
lensbetätigung! Dieser Einklang
aller Gedanken, aller Seelen; dieses
machtvolle »Amen« der ganzen
Aasse! ...

And wie er nichtswürdig
ist, der Gegner! Das ist kein
menschliches Geschöpf, das
ist ein Scheusal (oZro). Es
verzehret nicht die kleinen
Kinder, es läßt sie erwür-
gen. Es äschert nicht Rom ein, um
sich in raffinierter Verkommenheit
an dem Schauspiel zu weiden, es
legt die Fackel an Lrmliche Dörfer!
Der kaiserliche Narr will das
ganze All in Schrecken halten, sich
brüsten vor der Welt wie einst Alex-
ander. Der Mazedonier nahm sich
Dionysos zum Vorbild: der Preuße
lauert wie der Drache auf sein
Opfer. Sein Thron ersetzt ihm die
Felsenhöhle. Den Franzosen und
den Slawen will er zermalmen, beide
zusammen, wie der kaldäische Isdur-
bar in jedem Arm einen jungen
Löwen erwürgte. Er hat ein knech-

tisch ergebenes, brutales Volk
dressiert, wie man Hunde ab»
richtet. Diese Riesenmeute hetzt er
jetzt auf uns los, und wir werden
große Mühe haben, uns zu vertei«
digen. Aber diesem tzöllendrachen
fehlt das klare Ziel in seinem Wü«
ten; seiner Blutrunst fehlt die Po-
litik, und alseinzigerGenosse
gesellt sich ihm nur ein heim--
tückischer, greisenschwacher
Monarch zu.

Wir haben die Gewißheit,
daß dieRussenin einem Mo-
nat in Scharen in Berlin
sein werden. Wenn Paris
gelitten haben sollte, wird
Berlin bezahlen. Monument
um Monument, Grausamkeit um
Grausamkeit. Wir werden gerächt
werden, wenn wir besiegt sein soll«
ten. Welch erhebender Gedanke zu
Beginn eines Krieges! Der Sieg
mag auf sich warten lassen, sein
Preis kann teuer sein, aber wir sind
seiner sicher. Und welch ein Sieg!
DieAufteilungzweierReiche,
der rettungslose Antergang
der tzohenzollern und der
tzabsburger. Ansre Söhne wer--
den das germanische Schreckgespenst
nicht kennen lernen, denn in sechs
Monaten wird es kein
Deutschland mehr geben. —

Wir können nicht hassen und —
gestehen wir es unumwunden zu —
in der Freude, Elsaß-Lothringen
wieder zu besitzen, wären wir im-
stande, das Scheusal leben zu lassen,
damit es uns in einigen Iahren
aufs neue bedrohe. Aber England
und Rußland werden das Antier
nicht mehr loslassen. Sie werden
ihm die tzauer und die Krallen aus--
reißen und es für immer außer
Möglichkeit setzen, zu schaden.

Wer hätte gedacht, daß der Lor--
beer der Thermopylen noch einmal
an den Afern der Maas rauschen,
daß das glückliche Belgien sich eines
Tages des größten christlichen tzeros,
 
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