Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 28,1.1914

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1914)
DOI Artikel:
Bonus, Arthur; Avenarius, Ferdinand: Vom Aufklären und von Karikaturen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14418#0204

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
etwas in die Phantasie Aufgenornmenes möglichst schnell wieder loszu-
werden. Der Mensch hat eine eingeborene Lust, die Phantasie mit stark
sprechenden Bildern zu füllen. Wer ein falsches Bild herausreißen will,
muß es so tun, daß er ein kräftigeres an die Stelle setzt. Bilder zu formen
aber ist künstlerische Aufgabe. In der Freundschaft mag der persönliche
Eindruck das Fehlende ersetzen: man bleibe dann nur möglichst persön--
lich. Was im Druck ausgeht, muß Bilder geben, die durch ihre eigene
Kraft sich durchsetzen. Rnd dabei vergesse man nicht: die Stärke der Bilder
liegt nie in der Stärke der Worte, die man gebraucht, sondern in der Ein-
drucksfähigkeit auf die Phantasie. Pathetische Phrasen sind nie das Wir-
kende, sondern die sich einprägende Anschauung ist es. Alle noch so starken
und ausführlichen Entrüstungen über die Verlogenheit der feindlichen
Siegesberichte wirken weniger als eine kurze aber bildkräftig geformte
Notiz wie jene eines holländischen Blattes: „Die Belgier sagen, die Deut-
schen seien von Lier vertrieben und nach Kessel abmarschiert. Das heißt
für den, der die belgische Ausdrucksweise verstehen gelernt hat: nachdem
die Deutschen Lier zusammengeschossen haben, beginnen sie ihre Arbeit
bei Kessel." Das prägt sich ein und begleitet den Leser durch spätere
Berichte.

Am besten ist: für jede Lüge eine positive Schilderung der Wahrheit.
Die empörtesten Proteste gegen die Verleumdungen deutscher Kriegfüh-
rung helfen nicht so viel als jene Beobachtung Natorps: der Landwehrmann,
der das Kind erschossener Franktireurs auf dem Schoße hielt, um es seiner
Frau mitzubringen. Oder aus einem Feldbrief, den die Münchner Post
mitteilt: „Als der kleine blauäugige Flachskopf das Bild in die tzändchen
bekam, küßte er voller Inbrunst zuerst mich, dann Bernhardchen, Bubi und
auch dich. Ich dachte, mir springt das tzerz entzwei, und im nächsten
Augenblick standen mir wie auch der Frau meines »Feindes« die Tränen
in den Augen . . . Seitdem gehe ich nur ungern die Straße entlang,
in der die beiden Kinder auf die Wiederkehr ihres Vaters warten."
Allerdings muß bei der Wiedergabe solcher Geschichten noch besonders
vor Rnechtheit, Sentimentalität, gewarnt werden.

Ansre Zeitungsberichterstattung ist oft erschreckend dürr. Es scheint
mir da ein Mißverständnis vorzuwalten. Das deutsche Volk hat die kurze,
sachliche, insbesondere ganzlich phrasenfreie Tatsachenmeldung unsres Gene-
ralquartiermeisters mit heller Freude begrüßt. Das hat ein Teil unsrer
Kriegsberichter mißverstanden. Sie meinten, was dort freue, müsse auch
sonst freuen, und da die großen Tatsachen bekannt waren, gaben sie nun
die kleinen wie Sand, lose und unverbunden, Notizen, Namenlisten und
militärische Fachfloskeln, daraus kein Laie sich irgendein Bild machen
konnte. Zur Entschuldigung heißt es dann wohl: der Krieg sei kein
Schauspiel. Gewiß nicht; er ist aber auch kein Experiment für Fachgelehrte.
Und der Zeitungsbericht ist nicht eine Stoffsammlung für spätere Ge-
schichtsforscher. Er ist ein Versuch, uns Laien ein Bild von den Vor-
gängen zu vermitteln. Man erfaßt nämlich Vorgänge schlechterdings nur
auf Grund eines Bildes, das man sich von ihnen macht. Dieses zum
lebensvollen Erfassen nötige Bild muß selbst voller Leben sein. Der
Bericht muß den Funken übertragen. Die Opferwilligkeit der Zurück-
bleibenden, die Begeisterung zur freiwilligen Meldung und zum Kampf
hängen nicht zum geringsten daran. Aber (was für unsre jetzige Äber-
legung wichtig ist), auch das Urteil des Auslandes. Denn dessen Zeitun-

(66
 
Annotationen