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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1923)
DOI Artikel:
Bekker, Paul: Ueber Robert Schumann
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0021

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lung und Ausbreitung eines unermeßbaren Ideengehaltes. Lines wu«Hs
aus dem andereN) eines trug das andere, und das Ganze entfaltete sich
zu einem Wunder der Schöpfung, wie es in folcher Makellosigkeit und
Reinheit Sterblichen zu schaffen kaum beschieden sein konnte. Wie große
NaLurerscheinungen wirkten diese zwei Merster auf Schumann, unfaß--
bar im Geheimnis ihres Wesens. Der Begriff der Logik ihnen gegerv-
über war gleichbedeutend mit der Anerkennung ihres Werkes als Offen«
barung einer Urgesetzlichkeit. Franz Schubert stand nicht auf der Linie
dieser Erscheinungen. Das Gesetzliche in ihm war minder stark und zwin«
gend, und doch blieb auch er im Bereiche des Elementaren. Aus ihm 'sprach
das Gefühl in ursprünglicher, naiver Bedeutung, Gefühl nicht als Iw-
dividualangelegenheit) sondern als Tatsache des Lebens schlechthin, als die
sehnende und erfüllende Regung, in der die Natur atmet. Waren Bach und
Beethoven Gewitter) so war Schubert das Blühen und Treiben, das Wach--
sen und VergeheN) das durch jene geweckt wird. Schumann aber, und nicht
Schumann allein, sondern die Generation, die in ihm lebte und durch. ihn
sprach, war der einzelne) persönliche Mensch, der dabei stand, dies alles sah
und hörte, in einem für feinste Eindrücke empfänglichen Gemüt aufnahm
und es nun aus dieser gemüthaften Empsängnis widerspiegelte. Man
könnte sagen: eine im höheren Sinne rezeptive Natur, angewiesen auf
das von außen Kommende, in ihn Eindringende. Auch aus dieser Ein-
stellung erklärt sich seine Entwicklung. In der Iugend wirkten die Ein«
drücke am stärksteN) fanden sie unmittelbareN) spontanen Widerhall) später
ließ die Aufnahmekraft und das Echo nach, die Bilder trübten sich. Ebenso
erklärt sich die poetischmusikalische Begabung Schumanns: das von außen
Kommende spiegelte sich zunächst im Gleichnis des poetischen Bildes) je
tiefer es nach innen sank, desto mehr löste es sich in empfindungsmäßige
Klangvibration. Der tzauptunterschied den großen Vorgänger-Erscheinun-
gen gegenüber aber lag in der Begrenzung der aufnehmenden Individu-
alität. Sprach aus Bach und Beethoven der Mensch schlechthin in seiner
allgemeinen Bedeutung) als gottähnliche Kraft) die sich in freieste tzöhen
des Schöpfertumes schwang, sprach aus Schubert die Persönlichkeit im gro-
ßen Sinne, nicht physiognomisch bestimmt, nur als Kennzeichnung eines
geschlossenen Ganzen, einer Einheit, so setzte eine Kunst von der Art der
Schumannschen als Grundbedingung den scharf individualisierten Ein-
zelcharakter voraus. Ie deutlicher sich diese Individualität von an^
deren, artähnlichen abhob, je tiefer alles auf sie Eindringende in ihr beson-
deres Innenleben sank: je reicher und eigener ihr Gemütsleben war, um
so bedeutsamer mußte sie erscheinen. Der Individualismus wurde zum
wertbestimmenden Maßstab. Was die Menschen trennte, das subjektiv Be-
sondere, wurde zum Gegenstand künstlerischer Behandlung, was ihnen ge--
meinsam war, das Allgemeine, wurde zur Nebensache.

Aus der Betonung des Subjektivistischen ergab sich zunächst die Einbe-
ziehung des Dichterischen überhaupt in die neue romantische Musik. Bei
Beethoven war das poetische Element noch im Allgemeincharakter der Idee
geblieben, die wie in der Eroika, Pastorale, in der Abschiedssonate, den
dramatischen Ouvertüren einen großempfundenen geistigen Grundplan be-
zeichnete, ohne sich in Einzelheiten bildhafter Anschaulichkeiten zü verlieren.
Ietzt spezialisierte es sich zu bestimmten Vorstellungen, die sich untereinander
nur durch den Grad der Verdeutlichung unterschieden. Gewiß ist die

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