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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1923)
DOI Artikel:
Bekker, Paul: Ueber Robert Schumann
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0022

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poetisch zarte Stimmungscharakterrstik eines Schumann, der viele seiner
leise andeutenden Äberschriften erst nachträglich präzisierte> viel verschwieg
oder späterhin strich, nicht zu verwechseln mit der fast wissenschaftlich genau
beschreibenden programmatischen Ausführlichkeit eines Berlioz, ebenso wie
dieser wieder von den philosophisch reflektierenden Kommentaren Lisztscher
Sinfonik oder der dramatisch szenischen Veranschaulichung Wagners ab«
weicht. Doch sind dies nur A.nterschiede der Grade, der Individualitäteu,
der Begabungsarten, nicht Anterschiede in der Grundauffassung der Musik.
Diese blieb Mittlerin eines poetischen Individualerlebnisses. Musik wurde
Ausdruck persönlichen Widerhalles außerpersönlicher Vorgänge, diese selbst
sanken zum äußeren Anlaß herab. Die Wirkung auf das besondere Subjekt
war das Entscheidende.

Die Bedeutung solcher Verlegung des Schwerpunktes bestand zunächst
darin, daß es die Intimität des einzelnen entschleierte und sie zum Wesens-
kern der künstlerischen Darstellung erhob. Auch hier zeigt ein vergleichender
Blick auf frühere (Lrscheinungen den Anterschied. Bachs Musik erzählt nichts
von seinen persönlichen Leiden und Freuden. Beethovens Kunst führt in
die Idealwelt eines prometheischen Kämpfers, man ahnt aus ihr ein großes
Leben, aber dieses bleibt dunkler Antergrund, aus dem die Formen wachsen.
Aus Schuberts Klängen tönt ein Gefühlsleben von überwältigender Man-
nigfaltigkeit der Empfindungsgebiete — die menschliche Erscheinung des
unbedeutenden Schullehrers verschwindet demgegenüber ins Wesenlose.
Mit Schumann tritt das Tagebuch an die Außenwelt. Alle Romam-
tiker sind Bekenner, verschieden sind nur gemäß ihrer persönlichen Ver-
anlagung Format, Intensität und Stil ihrer Bekenntnisse. Ob Men-
delssohn die Eindrücke einer Shakespeare-Dichtung, eines Landschaftsbil-
des oder einer persönlichen Stimmung schildert, ob Berlioz die Geschichte
seiner Liebe in phantastischen Darstellungen beichtet, ob Liszt seine pathe-
tischen Reflexionen über das Künstlertum in kühne Freskodarstellungen
klanglich faßt, ob Wagner seine erotisch religiösen Ekstasen dramatisch
gestaltet, oder ob Schumann sein zartes Innenleben entblößt — immer
bleibt das I ch des Künstlers der bewußte Mittelpunkt. Was außerhalb
dieses Ichs liegt, wird zum emotionellen Reizmittel der Phantasie.

Solche Anderung der menschlichen Gefühlseinstellung mußte naturge-
mäß eine entsprechende Anderung in der metaphysichen Erfassung der
Klangwerte zur Folge haben. Ein Ton Bachs Dder Beethovens konnte
mit der Gewalt eines musikalischen Arstromes wirken, denn er hatte alles
Außerwusikalische in sich übernommen, in das musikalische Grundelement
gelöst. Lin Ton Schuberts kam so tief aus der Gefühlskraft des Mensch!-
lichen, daß er im Lmpfangenden mit der gleichen Intensität anklang und
keinerlei Anterschiede des Individuellen bewußt werden ließ. Die Klänge
der Romantiker aber Hatten sofort mit den tzemmungen andersgerichteter
Individualitäten zu kämpfen. Dies um so mehr, je mehr sie dem Innen-
leben entstammten, wie bei Schumann, oder je mehr sie das Vorhandensein
einer besonderen subjektiven Anschauungsart voraussetzten, wie bei Ber-
lioz, Liszt, Wagner. Rur da, wo sie sich auf Wiedergabe Lußerlich erfaß^-
barer Eindrücke beschränkten, wie bei Mendelssohn, fanden sie schnellen und
leichten Widerhall. Daß'nber überhaupt um die Kunst der Romantiker
Kämpfe ausgefochten werden konnten, deren tzeftigkeit weit hinausging
über die Gegensätze geschmacklicher Begriffe, erklärt sich zum überwiegenden
 
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