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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

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Heft 7 (Aprilheft 1923)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0046

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Pathos; der Lrkenntnis, daß die immer
noch blühende und immer wieder um
Nuancen bereicherte idealistische Tradi»
tion in eine Sackgasse geraten ist; der
Absicht endlich, eine Literatur bekannt
zu tnachen, die uns fruchtbare Lraditiow
sein kann. Der Geist des großen Vol-i
taire, der Geist seiner Vorahner und
Epigonen ist die Vergangenheit, an dis
wir die literarische Gegenwart anzu-
schließen haben, soll unsere Literatur
weder das Ioujou parfümierter Gso-
teriker, noch das Schallrohr sein, wel-
ches die ekstatischen Pubertätsschreie
profilarmer Gestalten einem höchst irri-
tierten Publikum übermittelt, — kurz:
soll die tiefe Kluft zwischen Schrift und
Wirklichkeit endlich wieder solid über--
brückt werden.

Beschwert durch Riesenhaufen von
Dogmen, die man als solche erkennt,
weil sie als solche nicht erkannt werden;.
gehindert vor allem durch die Wir-
kungslosigkeit der großen, millionenmal.
vergewaltigten Worte, wollen wir uns
dahin wenden, wo einst schon das Mit-
telalter zerschellte. Zu denen, welche
die Methode gefunden haben, das
Dogma auf Sinn und Irrsinn zu prü-
fen, das Wort peinlich zu kontrollieren.
Nln dieser Methode lernend, hoffen wir,
zu dem Ziele zu gelangen, das jene er--
strebten: Sehen, was ist.

Dieses ist der Sinn der BV, zu des-
sen Erfüllung sie beitragen soll, so weit
das geschriebene Wort heute noch zu
wirken vermag."

Zm Garten der Frau Maria Strom*

o liegt der Garten? Im zeitlosen
Mrgendland. Wer ist Frau
Strom? Me gewesen. Wer sind Hein-
rich und Ottomar Strom, „die Ströme",
von denen es heißt, jener sei im Kriege
gefallen, dieser aber begnndet worden,
heimzukehren? Sagen der Liebe . .

Dies ist alles wahrhaftig wahr. Denn
der neue Roman der Helene Böhlau,
der Dichterin vom Rangierbahnhof, der
Isebies, des Hauses zur Flamm' — wißt
ihr noch? vor dem Kriege wars! —
das Haus zur Flamm' schon war ein
Traum, obwohl einer von prallen
Apfeln und hellem Wind, singendem
Leben und schaffigem Manntum, mit

*Romanvon HeleneBöhlau. Deut-

sche Verlags-Anstalt, Stuttgart. sso S.

viel Lachen und Weinen gerechter Men«
schenkinder darin — also, der neue Ro-
man, ihr werdet nichts ganz Lebendiges
greifen darin, keinen Amriß werdet ihr
nachzeichnen und kein Tagesgefühl be-
rührt fühlen. Aus einer fast schon un«
irdischen Zeitlosigkeit ist dies empfun-
den, wie die verwitwete Maria sich (da
pocht das Leben noch einmal an ihr
Fenster) dem Bildhauer David versagt,
der aber findet sogleich ein sehr wun--
derliches kleines Weib zu eigen. Frau.
Maria jedoch gehört den beiden Söh-
nen, die irgendwie aufwachsen durch die
Märchen des Gartens am See hin, in
Traum und Geistigkeit und sehr gekettet
an Erdboden, Baum und Busch, plötz-
lich sind sie erwachsende Buben, die mit
Mädchen auf schnellem Boot im Mond-
schein die rauschende Isar hinabfahren,
zur Laute singen, durch Feuer springen,
wer weiß warum? und mit welchem Ge-
fühl?, seltsame Lräume dichten, einen
Ouell ergraben — aller Verstand der
Verständigen bleibt zurück, nur der lie-
bend kluge Oheim Sebald raunt über
die bunte Gesellschaft hin, daß es tief
in der Seele widerhallt und Frau
Marias Herz Ia sagt, weise Worte,
greisenhaft und jung in einem; dann
bricht Krieg aus und wird keineswegs
als Tatsache, sehr stark als unseliger
und doch auch beglückender Traum er-
lebt, selbst die Rekrutenschinderei wird
zum Märchen. Liebe und Treue geraten
in Wirrung, und wunderliche Briefe
flattern aus Verduns Batteriestellungen
auf, zuletztlaber lebt dieses unkörperliche
Gemeinschaftleben wieder im Garten,
auf rosentragendem Erdboden, vom
Himmel überwölbt, von Sebalds Wor-
ten durchschauert.

In das wundervolle Lebensgefühh,
die wundersame Erdenschau unrationa-?
ler Menschenkinder reißt euch dieses
Buch, aus dem ihr beglückt erwacht.
Wohl dem, der es mitl^ben kann. E. N.

Klasfiker-Ausgaben

ichts ist undankbarer als die Auf-
gabe, neue Klassiker-Ausgaben kri-
tisch anzuzeigen. Änsre Offentlichkeit,
nicht verwöhnt, seit langem infolge des
großen Büchermangels dankbar für
jede, auch Pie mittelmäßigste Neu-
Ausgabe, mißt gemeinhin am Maßstab
des Preises und Amfanges, ohne viel

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