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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

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Heft 7 (Aprilheft 1923)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0047

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nach weiterem zu fragen. Und gibt sich
zufrieden, wenn neue Ausgaben nicht
allzu teuer nnd ein wenig gefällig er-'
scheinen. Dre große Bewegung zur Ver-
feinerung der Buchtechnik, welche wir
erlebt haben, hat nicht eben weite Kreise
ergriffen. Rnd doch sollten wir — unt
des Inneren wie um des Äußeren wil-
len — gerade in einer Zeit der Bücher-
not unser Augenmerk nicht zuletzt dar-
auf richten, wie die paar Bücher aus-
sehen, die wir uns kaufen oder schenken.
Mehr als je werden wir freilich auch
die Äuswahl beachten müssen, die eine
Ausgabe bietet, denn je weiter die voll-
ständigen Gesamt-Ausgaben sich aus
dem finanziell eng umgrenzten Ge-
sichtskreis des Käufers entsernen (was
an sich kein allzu großer Schaden ist!),
umso wichtiger wird die Frage: was
kann ich von den dichterrschen Werten
für irgend angemessenen Preis noch er-
werben?

In beiden Hinsichten können wir
Cottas neue G o e t h e - Ausgabe * ge-
trost empfehlen. Zwar, gerade Goethe
lohnt es sich, vollständig zu besitzen, nicht
um ihn ganz zu lesen, sondern um nach
Belieben nachschlagen und nachlesen
zu können. Doch eine vollständige Aus--
gabe würde eben heute das Vielfache
einer solchen Auswahl kosten. Die vor-
liegende liegt in dunklen, einfachen, so-
liden Leinenbänden vor uns, welche mit
ihrer unauffälligen Nückenzeichnung je-
denfalls keine Bücherei verhäßlichen,
viel mehr den anständig-sachlichen Ein-
druck machen, welchen wir von den nor-
malen Klassiker-Ausgaben her gewohnt
sind. Papier und Druck sind nirgends
zu sparsam, nirgends verschwenderisch,
absolut würdig eines „Goethe der Not-
zeit". Auch sind die Bände weder zu
stark noch zu schwer. Die Auswahl ent-
spricht berechtigten Wünschen vollkom-
men: Gedichte (( Bd.), Gpische Dichtun-
gen, Iugenddramen, Singspiele Dra-
men in Prosa und in Versen, Faust,
Werther, Wahlverwandtschaften, No-
velle, Unterhaltungen, Lheatralische
Sendung (Probe aus dem Ur-Meistery,
Meister, Dichtung und Wahrheit. Bio-
graphisches und Italienische Reise, Zeit-
geschichtliches, Cellini, Wissenschaftliches

* Goethes Werke. Auswahl in

(5 Bänden, herausgegeben von Ed. v. d.
Hellen, Cotta, Stuttgart.

(( Bd.). Man mag bedauern, daß vom
Philosophischen so manches wegfällt
(muß aber anerkennen, daß Hellen klug
und feinsinnig den letzten Band zusam-
menstellte), daß der Urfaust fehlt, wäh-
rend einige Singspiele abgedruckt sind,
die kein Mensch mit Ergriffenheit liest
— doch hätte solche Kritik nicht mehr
Wert als den einer subjektiven Mei-
nung; irgend etwas Wichtiges mußte
eben fehlen. Nur eines sei bemerkt: wir
würden unter allen Ümständen, und
wenn es (6 Bände gäbe, die Gedichte
vollständig bringen! ein für allemal
sind uns die nicht nur dichterisches Werk,
sondern in ihrer Gesamtheit der eine
einzigartige Spiegel Goethes, den wir
nicht missen sollten. Und eine „Aus-
wahl" z. B. aus dem Diwan scheint uns
unmöglich. Daß dagegen die großen
Werke unverkürzt und das Ganze ohne
philologisches Beiwerk und pedantische
Zeilenzählung geboten werden, ist teils
selbstverständlich, teils sehr erfreulich.
Man versuche sich einmal mit einer
(5-bändigen Auswahl, dann wird man
sofort finden, daß diese in allem We-
sentlichen wirklich wohlgelungen ist.

Mancherlei Deutungen läßt es zu,
daß heute so viel H ö ld erlin-Aus-
gaben aller Art erscheinen. Ist denn
Hölderlin wirklich auf einmal „popu-
lär" geworden? ein geeignetes Objekt für
Spekulation? Oder finden sich in der
Stille der Zehntausende von Deutschen,
die vom Tage nichts wissen noch wisseN
wollen, unter der Iugend etwa, wahr-
haftig so viele echte Leser des weltlosen
Schwaben? Oder wäre es am Ende ein
Mißverständnis? greifen vielleicht viele
Leute zu dem Hyperion, zu den Hhm-
nen, zu den Briefen des Intensivsten
aller unsrer Lyriker, weil sie da Lethe-
Lrank und Heilquell suchen, wo zuletzt
nicht mehr ist als der reinste, kristal-
lenste Ausdruck eines keine Sehnsucht
stillenden, jede Sehnsucht bestätigenden
Dichtertums — ? Genug der Fragen»,
Lichtensteins „Hölderlin" (Verlag E.
Lichtenstein, Weimar) ist nun vollendet
mil den Bänden „Äbersetzungen, Philo-
sophische Schriften" (336 S.) und
„Briefe" (35( S.). Ich ziehe sie allen
neueren vor. Ihre einfachen lichtgrü-
nen Bände mit dem dünnen Gold-Auf-
druck, ihr stiller Antiqua-Druck — Höl-
derlin verlangt unbedingt Antiqua! —

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