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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

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Heft 8 (Maiheft 1923)
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Sokratiker
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0090

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Schämst du dich nicht, die Töne mit dem Holz, nicht aber deine Seele
mit dem Leben in Einklang zu bringen?

Alles gehört den Göttern; die Weisen sind Freunde der Götter; der Be»
sitz der Freunde ist gemeinsam; also gehört alles den Weisen.

Wenn du Verstand hast, so brauchst du nach meiner Aberzeugung kein
Orakel. Denn sieh, wenn dich der Gott richtig lesen und schreiben heißt, ohne
daß du es gelernt hast, so wirst du es doch nicht können. Nur wenn du die
Buchstaben kennst, wirst du lesen und schreiben können, wie sichs gehört,
nicht aber auf des Gottes Geheiß. Ebenso wenig wirst du dadurch zu irgend-
einer andern Tätigkeit, die er d/ir anrät, ohne daß du sie schon verstehst,
fähig werden. Auch richtig leben wirst du daraufhin nicht können, wenn
du es nicht ohnedies verstehst, auch nicht, wenn du jeden Tag den Apollon
belästigst und er sich dir allein widmet; wenn du aber Verstand hast, wirst
du von selbst erkennen, was du zu tun hast und wie. Das große Anglück,
das den Oidipus traf —i um dies noch zu sagen —, war zwar nicht die Folge
eines Orakelspruchs, den er sich in Delphi holte, aber einer Weissagung des
Teirestias, mit dem er einen Zusammenstoß gehabt hatte, und seiner eigenen
Verbleüdung. Er kam nämlich darauf, daß es seine Mutter war, der er
beigewohnt und von der er Kinder hatte; und, während er dies dann hätte
für sich behalten oder aber als Brauch in Theben einführen sollen, machte
er es erstlich allgemein bekannt, regte sich dann sehr darüber auf und rref
laut, er sei Vater und Bruder derselben Kinder und desselben Weibes Mann
und Sohn. Die Hähne aber regen sich über derartiges nicht auf, und ebenso-
wenig die tzunde und Esel und auch die Perser nicht: und doch gelten diese
für das vornehmste Volk in Asien . . . Aber er hat das Rätsel der Sphinx
gelöst? tzast du nicht gehört, daß die Sphinx ihm aufgab, den Menschen
zu erkennen? Er jedoch sagte und erkannte nicht, was der Mensch sei, son-
dern glaubte die Frage zu beantworten, wenn er nur das Wort „Mensch"
nenne. . . Ich aber hörte sagen, daß die Sphinx die Unwissenheit sei.
Diese hat früher, wie auch jetzt noch, die Böoter zugrunde gerichtet, indem
sie ihnen das Wissen vorenthielt, sind sie ja doch die unwissendsten Men-
schen von der Welt. Die andern nun waren sich wenigstens ihres 'Unver-
standes bewußt: Oidipus aber meinte und überzeugte auch die andern The-
baner davon, daß er der Klügste und der Sphinx entgangen sei. Ilnd des-
wegen geriet er in das größte Anglück; denn wer unwissend ist und sich
dabei für klug hält, der ist am allerunglücklichsten.

Krates

M

erscheinen.

Teles

Aber Selbständigkeit

Hvrie der gute Schauspieler jede Rolle schön spielen soll, die der Dichter
^^ihm zuweist, so auch der gute Mensch diejenige, die ihm das Schicksal
zuweist. Denn auch dieses, sagt Bion, weist uns wie ein Dichter bald eine
tzaupt-, bald eine Nebenrolle zu, bald die eines Königs, bald die eines
Bettlers. tzast du nun eine Nebenrolle, so wolle keine tzauptrolle spielen:
sonst gerätst du in einen Widerspruch. Du kannst gut befehlen, ich gehorchen,

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